Aikidō oder wie man dem Anderen hilft, sich zu verbessern

von Philippe Gouttard


während des Interviews Okt. 2014

Aikidō ist eine Kunst, ein Sport, der sich ein wenig, ja sogar enorm von anderen sportlichen Aktivitäten unterscheidet. Im Antagonisten-Sport muss man nämlich gewinnen, um Champion zu werden. Man muss die anderen ausschalten, um den Titel zu erlangen.  Man muss den Gegner besiegen, um die Karriereleiter hinaufzuklettern.    
   
In unserer Kunst ist es genau umgekehrt. Man kann andere nicht besiegen, man kann andere nicht ausschalten. Der andere ist ein Partner, der uns hilft, zu verstehen und Fortschritte zu machen. Er ist daher für unsere Entwicklung unerlässlich.

Im Aikidō ist unser Partner unser Bezugspunkt. Er ist es, der uns ermöglicht, uns auszudrücken. Er ist es, der uns hilft, Fortschritte zu machen, er ist es, der uns hilft, uns zu verbessern. Ohne Partner gibt es keine Entwicklung.

Einen großen Aikidō-Meister erkennt man für mich daran, dass man sieht, wie seine Schüler üben, wie sie sich auf und neben der Matte verhalten.

In einem früheren Artikel hatte ich über dieses Konzept gesprochen: »Ich bin ein direkter Schüler dieses Meisters«.
Das ist ein Satz, der mir nicht gefällt. Wir können nicht das einzige Vorbild für unsere Schüler sein. Sie müssen mit vielen verschiedenen Lehrern aufwachsen. Mit dieser Offenheit und der Freiheit, praktizieren zu gehen, wo sie wollen, machen unsere Schülerinnen und Schüler Fortschritte.  
Es ist natürlich klar, dass die Schülerinnen und Schüler mit zunehmendem Fortschritt weniger viele Lehrerinnen und Lehrer sehen müssen.

Wenn Lehrer ihren Schülern verbieten, woanders hinzugehen, verschließen sie sich selbst vor dem Ziel des Aikidō, das darin besteht, mit allen Übenden trainieren zu können und vor allem mit denen, die »nicht die gleiche Sensibilität haben.
Die einzige Sache, die alle Praktizierenden vereint, ist die Art und Weise, wie sie ihre Körper mobilisieren. Wir sind alle unterschiedlich, wir verstehen uns nicht immer und sprechen nicht immer die gleiche Sprache. Aber wir bewegen unsere Körper, alle auf die gleiche Weise, und Aikidō ist ein hervorragendes Mittel, um sie in perfekter Harmonie zu halten. Wir üben die gleichen Choreographien auf der rechten und linken Seite. Wir üben beide Rollen. Wir sind entweder, Tori, der Empfänger der Kontaktaufnahme oder Uke der Kontaktnehmer. Und man kann feststellen, dass die Positionen der beiden Protagonisten sehr oft identisch sind. Die beiden Praktizierenden sind notgedrungen der Spiegel des anderen.

   
Ich bin ein hervorragendes Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte, nämlich ein Spielball für den anderen zu sein. Ich habe sehr viele Würfe akzeptiert, die mein Körper eigentlich nicht verkraften konnte. Aber »ich war sehr glücklich und stolz«, sie zu überstanden, aber nicht wirklich empfangen zu haben. 
Das stärkte meinen Körper, aber als er sich weiterentwickelte, litt er »und ich wollte es mir nicht eingestehen«.

Deshalb wurde mir nach all »diesen Verletzungen«, die mich, zu meinem Glück nie allzu lange von der Matte fernhielten, bewusst, dass ich, wenn ich Schüler ausbilden will, damit sie besser als ich werden, ihre Körper, »auch gegen ihren Willen« schützen muss. Dieser Wille, der möchte, dass sie alle Würfe oder Haltegriffe akzeptieren, ohne sich jemals vorzustellen, dass der Meister oder die Älteren, Fehler machen könnten.
 
Diese Fehler führen dazu, dass der Schüler sich entweder selbst schützen muss, indem er sich versteift, oder die Praxis aufgeben muss.

Niemals kommt ein Schüler und beschwert sich über eine schlechte Behandlung. Auf der Tatami »gibt es viel Unausgesprochenes«. Man muss stark aber respektvoll sein.

Wie oft habe ich gehört: »Mit diesem Übenden, der höher graduiert oder älter ist, kann ich nicht, denn ich schulde ihm Respekt«.  Das bedeutet, dass er, wenn er mit einem Jüngeren oder niedriger Graduierten übt, »es sich erlauben kann«, ihn mit weniger Respekt werfen, oder festzuhalten kann. Das ist für mich unvorstellbar. Auf der Matte ist die kleinste Verletzung ein Mangel an Technik oder Erziehung.

Damit unsere Schüler besser werden, dürfen wir sie auf keinen Fall körperlichen oder geistigen Stress auferlegen. Man kann nicht lernen und Fortschritte machen, wenn man Angst vor dem Anderen hat. Ob tori oder uke, man darf nicht mit der Angst spielen, die man erzeugt, wenn man sich stärker fühlt. Aber besser, was bedeutet das?
Für mich bedeutet besser, intelligenter im Verständnis unserer Praxis zu sein. Besser bedeutet auch, dass ich die Zukunft der Schüler respektiere.
Ich möchte nicht behaupten, dass die alten Menschen nicht intelligent waren, aber es gab sicherlich nicht die gleiche Intelligenz und die gleiche Überlegung, wie man den Körper des anderen mobilisieren kann.
Den anderen besser zu machen bedeutet, ihm die Möglichkeit zu geben, keine Angst mehr vor dem zu haben, was passieren wird. Uke darf keine Angst mehr vor dem Wurf oder dem Festhalten haben. Ich spreche oft von Angst und Beklemmung. Diese Gefühle, auch heute noch, habe ich jedes Mal, wenn ich auf eine Matte trete, egal ob ich Schüler oder Lehrer bin.
Diese Angst ist für mich ein zweischneidiges Schwert. Entweder sie hemmt oder sie transzendiert.

Ich habe beide Möglichkeiten gespü


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