Aikido Heute

von Walther G. von Krenner

Walther G. von Krenner
Walther G. von Krenner

Aikidō Heute

Walther G. von Krenner

105DE 1/2021– 3
Nur zur Einführung für diejenigen, die mich nicht kennen und mein Recht auf eine Meinung zu diesem Thema in Frage stellen. Mein Aikidō-Training begann 1962, nach 4 Jahren Judo, mit den Senseis Ueshiba Kisshomaru, Tohei Koichi und Takahashi Isao. Ab Anfang 1967, als Ōsensei noch lebte, trainierte ich im Hombu bis zu seinem Tod. Ich bin seit über 60 Jahren im Aikidō und Budō und habe eine Menge Aikidō-Geschichte gesehen.

Es gibt zu viele Gründe und Probleme, um einen einzelnen Grund herauszugreifen, warum Aikidō zu dem geworden ist, was es heute ist. Ich versuche, einige Ursachen und Auswirkungen dieses langen Prozesses des Niedergangs aufzuzeigen.

Nach dem Tod des Gründers begannen die Machtkämpfe und der Kampf um Führung und Position. Tohei Koichi Sensei, bis dahin der Ranghöchste und Hauptlehrer, verließ die Schule wegen der Politik und der Doppelzüngigkeit - und so begann es.

Die Hombu, zu dieser Zeit unter der Führung von Kisshomaru, organisierte sich und übernahm die Position der Hombu. Ausbilder (so genannte Shihan) wurden in die ganze Welt geschickt, um die Kunst des Aikidō zu lehren und zu verbreiten. Einige waren gut und andere nicht so gut, aber sie waren exotisch, konnten kein Wort der Sprache des Landes sprechen, in dem sie unterrichteten und wurden als Guru oder spirituelle Personen verehrt. Tatsächlich waren die meisten natürlich ungefähr so spirituell wie Ihr Briefträger, aber das Bild blieb haften und wurde später die Grundlage für den Aikidō-Kult.

Nach dem Tod von Kisshomaru, dem zweiten Dōshū, war das Hombu mehr an Quantität als an Qualität interessiert, je mehr Mitglieder, desto mehr Geld.  Das Dan/Ränge-System, ein weiterer Fluch und Grund für die Probleme des Aikidō, wurde zu einem praktischen Werkzeug, um die internationale Aikidō-Gemeinschaft zu kontrollieren und zu sichern. Dann begannen die Splittergruppen. In den USA hatten wir einen Aikidō-Verband, dann beschlossen Chiba und Yamada, das Königreich zu teilen und zwei Verbände zu haben, was einige Leute unglücklich machte und sie gründeten ihre eigenen Verbände. Jetzt gibt es Dutzende, und solange sie Hombu-Mitglieder sind und die Gebühren zahlen, ist dem Hombu die Qualität ihres Aikidōs oder der Wert der Lehrer völlig egal. Mehr als ein paar dieser Sensei wurden wegen sexuellen Missbrauchs und anderer Verbrechen verurteilt, aber das Hombu ignoriert dies einfach und hat ihnen nie den Rang und das Ansehen des Hombu genommen.

Nun sind wir bei dem Punkt »Qualität der Lehrer« angelangt.  Lassen Sie mich zuerst sagen, dass es hier draußen Leute gibt, die technisch versiert sind und einige (sehr wenige) sind ausgezeichnet. Sie müssen nicht Japaner sein, tatsächlich sind es die meisten nicht. Das Hombu ist sehr vorsichtig, »Nicht-Japaner« in die höchsten Ränge zu befördern.

Aber da jeder ein Sensei sein will, eröffnen Leute mit fünf oder sechs Jahren Teilzeittraining, die eigentlich Schüler sein sollten, ein Dōjō und geben ihr Können und Wissen an die ahnungslosen Mitglieder weiter. Die Kunst wird als »Kampfkunst« und »Selbstverteidigung« beworben und vermarktet. Die Tatsache, dass diese »Senseis« sich nicht gegen den durchschnittlichen Straßenkämpfer verteidigen könnten, wird damit erklärt, dass Aikidō nicht zum Kämpfen ist, Aikidō ist Frieden und Harmonie, Aikidō ist Liebe und andere Ōsensei-Zitate. Es ist jedoch eine Kampfsportart bzw. Kampfkunst und Selbstverteidigung?

Sie können kein Pazifist sein, wenn Sie nicht in der Lage sind, eine feindliche Situation zu lösen, Sie sind einfach ein Opfer mit Illusionen. Wenn Sie die Aggression stoppen können und sich entscheiden, barmherzig zu sein, dann sind Sie ein Pazifist.

Das endlose Zitieren von Ōsenseis Nachkriegssprüchen und -philosophie, ohne seine Ausbildung und Erfahrung zu haben, macht Aikidō in vielen Fällen zu einem Ōsensei-Kult mit exotischer Samurai-Uniform und allem Drum und Dran. Es gibt zu viele Aikidō-Praktizierende, die diese Phantasie leben, aber die Schuld liegt nicht bei ihnen, sondern bei dem System. Viele dieser halbgaren Sensei verkaufen und fördern all die Dinge, die mit der Kunst heute falsch sind. So ist Aikidō zu einem Ōsensei-Kult geworden, der keinen anderen kämpferischen Nutzen hat als Übung und das Erlernen von Waza, die in den meisten realistischen Konfrontationen nicht angewendet werden können. Wie bei Yoga und ähnlichen Disziplinen ist daran an sich nichts falsch, aber machen Sie sich nicht vor, dass Sie ein Krieger sind oder dass Sie Musashi sind, weil Sie seltsame Dinge mit einem Schwert oder Bokken tun. Ich spreche von der Mehrheit solcher Sensei, wie ich schon sagte, gibt es einige (sehr wenige) Leute, die wirklich verstehen.

Die Erweiterung der Ideen, Techniken und der Philosophie des Aikidō wird durch die Natur dieser Ideen selbst, die Trägheit der Schüler und die Unfähigkeit, diese Ideen zu verstehen, begrenzt. Aikidō war für eine begrenzte Gruppe von Menschen gedacht und sollte nie eine Massenbewegung sein. Sogaku Takeda wählte die Menschen, denen er die Kunst lehrte, sorgfältig aus.

Die Zeiten haben sich geändert, die Menschen haben sich geändert, die Waffen haben sich geändert, die Welt hat sich geändert. Die alten Meister wie Funakoshi, Kano, Ueshiba usw. konnten sich diese Welt nicht vorstellen und sich nicht an sie anpassen. So hat Aikidō selbst in seinen besten Zeiten seine ursprüngliche Bedeutung verloren und ist nicht mehr das, was es war oder sein sollte.

Wir müssen uns also entscheiden, ob es eine Kampfkunst ist oder nicht, die Doppelmoral loswerden, wo es als Kampfkunst und Selbstverteidigung und als pazifistischer Kult verkauft wird. Es kann nicht in dieser Zwielicht Zone existieren.

Ja, ich kenne alle Pro- und Contra-Argumente zu diesem Thema und die Wahrheit ist, dass es nicht gelöst oder gerettet werden kann. Sie können sich andere Bewegungen, Kulte und Religionen ansehen und die gleichen Muster erkennen. Anfang, Blüte, Verfall, Tod.

Ich möchte noch einmal auf das vorherige Thema, dem Thema Dane/Ränge-System zurückkommen.

Dangrade ohne tatsächlichen Wettbewerb führt eher zu Politik und politischen Autoritäten als zu Exzellenz. Natürlich gibt es viel Wettbewerb, aber der findet in der politischen Arena statt und nicht auf der Tatami. Wie in jeder Politik, ob Regierung oder Unternehmen, steigt der Politiker und nicht der Qualifizierteste an die Spitze.

Rangordnung ist völlig bedeutungslos, der Gründer selbst hatte keinen Rang, der zuvor erwähnte Musashi hatte keinen Rang und die Liste geht weiter, in allen Disziplinen, nicht nur im Budo, kann eine Person fabelhaft in einer Kunst sein und keinen Rang haben, während ein Politiker mit Rang ein totaler Versager sein kann und normalerweise auch ist.

Aber ohne Rang könnte Hombu das Aikidō und den Fluss der Einnahmen nicht kontrollieren. Was brauchen wir noch, was die Hombu liefert? Mehr japanische Shihan? Hombu könnte eine gewisse Hilfe und Unterstützung sein, aber Kontrolle und Beherrschung ist nicht meine Vorstellung von Hilfe.

In meiner eigenen Stadt gibt es zwei Aikidō Dōjōs, meins und ein anderes. Das andere wird von einer Person geführt, die ganze zwei Jahre bei mir gelernt hat und behauptet, 30 Jahre Erfahrung zu haben, und die ein Dōjō eröffnet hat, das »die Kampfkunst des Friedens und der Harmonie« lehrt, dieses Dōjō ist auch mit der Hombu verbunden und anerkannt.

Jetzt mit der Corona-Pandemie sind Dōjōs gezwungen, zu schließen und viele von ihnen werden sich nicht erholen. Streaming oder virtuelle Aikidōkurse sind ein Witz. Es ist kein Aikidō, es ist ein bewundernswerter, aber verzweifelter Versuch, durchzuhalten.

Das ist nicht insgesamt eine schlechte Sache, große Dinge in der Kunst und allem anderen sind selten und nicht an jeder Straßenecke zu finden. Je mehr »Aikidō« es gibt, desto weniger Aikidō wird es geben.

Der Virus hat nur den unvermeidlichen natürlichen Prozess des Überlebens des Stärkeren beschleunigt. Aikidō wird nicht als die Kunst überleben, die Ōsensei sich vorstellte, wenn es nicht anfängt, realistisch und frei zu werden, um das zu tun, was verändert werden muss. Selbst dann wird die neue Welt vielleicht nicht daran interessiert sein, die Erhaltung einer alten und veralteten japanischen Volkskunst fortzusetzen.

Einige talentierte Lehrer werden und sollten fortfahren und versuchen, Aikidō am Leben zu erhalten, aber es wird nie eine beliebte Sache für die Mehrheit der Menschen sein. Vielleicht würde weniger Quantität die Qualität erhöhen, die Zeit wird es zeigen.

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