Auf diesen Aikido-Lehrgang habe ich mich gefreut, der Lehrer ist richtig gut. Ich genieße die neuen Anreize, die ich bekomme, und strenge mich an, damit ich möglichst viel nachvollziehen und mitnehmen kann. Das mit dem Konzentrieren wäre allerdings etwas einfacher, wenn nicht ausgerechnet heute Helikopter-Sensei neben mir trainieren würde.
Helikopter-Sensei übt die Aikido-Techniken nicht einfach für sich wie alle anderen. Er achtet vor allem darauf, in der Nähe seiner eigenen Schülerinnen und Schüler zu bleiben und auf sie aufzupassen, damit diese auch ja etwas lernen. Und zwar das, was er ihnen zeigt. Immer wieder gibt er weitere Hinweise, wie das eigentlich gehen muss, was der Lehrer eigentlich gemeint haben müsste, auch wenn der es etwas (oder deutlich) anders gezeigt hat.
Er ist so damit beschäftigt, zu unterrichten, dass die Leute, um die er sich so kümmert, gar nicht dazu kommen, Sachen einfach mal auszuprobieren und umzusetzen. Nicht nur, dass er es anders zeigt als der Lehrer, er gibt auch viel zu viele Hinweise auf einmal. Man kann die Überforderung sehr leicht in ihren Augen erkennen, aber Helikopter-Sensei hat eine Mission und ist daher blind dafür. Er geht dermaßen in seiner Kompetenzspender-Rolle auf, dass er jegliches Gespür dafür verloren hat, dass weniger mehr wäre.
Der Begriff „Helikopter-Sensei“ ist an die sogenannten Helikopter-Eltern angelehnt, jene überfürsorglichen Eltern, die wie Hubschrauber andauernd um ihre Kinder kreisen, um diese zu überwachen und zu behüten. Manche gehen in dieser Rolle so sehr auf, dass sie kaum noch einen anderen Lebensinhalt haben. Sie geben ihr Selbst auf, um nur noch für ihre Kinder da zu sein und deren Entwicklung zu fördern.
Auch Helikopter-Sensei ist überzeugt, sich selbst zurückzunehmen. Er trainiert ja neben uns nicht wirklich, sondern kümmert sich. Diejenigen, die sich im heimischen Dojo an ihm orientieren, sollen besonders viel Lernerfolg von diesem Aikido-Lehrgang mitnehmen – und zwar von ihm. Allerdings ist derartige Überbehütung meist ein Ausfluss von dem eigenen Wunsch, sich selbst als kompetent erleben zu können, und der Angst, die eigene Autorität könnte in Mitleidenschaft gezogen werden.
Auch weiter oben in der Aikido-Nahrungskette findet man so etwas. In einem Blog las ich, dass jemand seine Dan-Graduierung vom Lehrer mit den Worten überreicht bekam, der neue Grad bedeute, dass man nun keine Lehrgänge bei einem bestimmten anderen Aikidoka mehr besuchen dürfe. Anderorts las ich, dass die von diesem Lehrer vergebenen Dan-Grade besonders wertvoll seien, da es so wenige davon gäbe.
Auf die Idee, dass dieser Lehrer so wenige Schüler hat, weil er nicht gut mit ihnen umgeht, ist da aber irgendwie keiner gekommen. Dabei weiß ich von einigen Aikidoka, die sich eben deshalb von ihm gelöst haben. Ein Lehrer, der seine fortgeschrittenen Schüler, die womöglich längst eigenständige Lehrer sind, einzusperren versucht, wird letztlich ziemlich allein dastehen. Ich habe das mehrfach beobachtet.
Wenn die Verbundenheit der Schüler zu ihrem Lehrer nicht von innen kommt, dann ist sie nicht viel wert. Erzwingen lässt sich eine solche Bindung nicht. Es ist ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis, das langsam heranwachsen muss, um belastbare Substanz zu entwickeln. Dazu müssen beide Seiten etwas beitragen. Ein Schüler, der sich auf seinen Lehrer nicht wirklich einlässt, darf ja auch nicht ernsthaft erwarten, dass dieser ihm besondere Aufmerksamkeit entgegenbringt.
Aikido-Lehrende sind in der Regel gern bereit, Energie in die Ausbildung der Menschen zu stecken, die zu ihnen in den Unterricht kommen. Ich kenne allerdings keine Aikido-Lehrenden, die nicht innerlich abwägen, bei wem es sich lohnt, etwas mehr von sich hineinzugeben. So einige Fragen ploppen da im Hinterkopf mit auf. Wer kommt regelmäßig und arbeitet mit kontinuierlicher Konzentration? Für wen hat Aikido die gleiche besondere Bedeutung wie für einen selbst? Will diese Person wirklich Aikido lernen oder ist es nur ein Hobby unter vielen? Will sie zu innerer Kompetenz vordringen, also die Lehrinhalte nachvollziehen, ergründen und durchdringen, oder geht es nur um das Erlangen äußerlicher Kompetenz, die nächste Graduierung?
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