Yamada Yoshimitsu Sensei AJ 93DE

… ein Gespräch anläßlich des Aikidō-Seminars in Bernau am Chiemsee, wo gleichzeitig das 20jährige Jubiläum gefeiert wurde


Yamada Senseiwährend des Interview – Bernau 25/03/2017

Ich führte dieses Gespräch zusammen mit dem Organistor dieses Seminares Jochen Maier aus Rosenehim und Jean-Jacques »Jisch« Scheuren aus Luxembourg.


 


Vielen Dank, dass Sie uns die Gelegenheit zu diesem Interview gegeben haben. Würden Sie uns bitte über Ihr Leben in Japan als Sie jung waren und bevor Sie zum Aikidō kamen, berichten.

Ich erinnere mich nicht. Darf ich sagen, dass ich ein braver Junge war? (lacht)


Wie alt waren Sie als Sie mit dem Aikidō anfingen? Haben Sie zuvor noch eine andere Kampfkunst erlernt?

Nein, ich habe nur Aikidō trainiert. Ich habe nach der High-School mit dem Aikidō begonnen. Ich bin auf das College gegangen und bin zur selben Zeit Uchi-Deshi geworden. Ich bin dann nicht weiter zur Schule gegangen, sondern einfach beim Aikidō geblieben. Mein erster Tag im Aikidō war gleichzeitig mein erster Tag als Uchi-Deshi. Ich hatte Aikidō schon vorher gekannt, hatte bis dahin aber noch nicht selbst trainiert. Ich wurde angenommen, obwohl ich keine Erfahrung hatte, weil ich enge Verbindungen zur Familie Ueshiba besaß. Meine Bewerbung wurde akzeptiert. Wenn Sie mehr über meine Jugend wissen wollen: Ich war wirklich ein schlimmer Junge.  Ich musste etwas aus meinem Leben machen und meinen Lebensstil ändern.  Nach der Schule wollte ich mein Leben genießen. Ich war 18 oder 17 Jahre alt.

Waren Sie von Anfang an im Honbu-Dōjō?

Ja, ich war vom ersten Tag an Uchi-Deshi im Honbu-Dōjō.

War Ōsensei immer dort?

Nein, zu der Zeit hatte er sich schon nach Iwama zurückgezogen und kam nur gelegentlich. Damals lebten Herr Arikawa, Herr Tamura und Herr Noro als Uchi-Deshi im Honbu-Dōjō.


Wer hat unterrichtet?

Natürlich Kisshomaru Ueshiba, Dōshū. Und Koichi Tohei. Er war der Hauptlehrer.

Und Arikawa?

Nein, Arikawa hat nicht unterrichtet. Arikawa war jünger als Tohei. Er hat in einer Firma gearbeitet. Ich weiß nicht, warum er im Dōjō geschlafen hat. Morgens ging er ins Büro. Er war angestellt. Tada-sensei hat nachmittags unterrichtet.  Früh morgens, um 6:30h, hat immer Dōshū unterrichtet. Das war natürlich noch im alten Dōjō, in dem die Familie Ueshiba lebte. Wir lebten gemeinsam auf den Tatamis. Es war ein hartes Leben, aber im Rückblick war es eine wertvolle Erfahrung. Es ist schade, dass die jüngeren Generationen so eine Gelegenheit nicht mehr haben. Die Zeiten ändern sich.


Wie lange blieben Sie im Honbu-Dōjō?

Ich habe mit 22 oder 23 geheiratet. Ich war also für vier oder fünf Jahre Uchi-Deshi. Dann habe ich mir eine eigene Wohnung genommen, und bin dann zu Fuß zum Honbu-Dōjō gegangen.


Wann haben Sie Japan verlassen?

Das war 1964. Ich war 26 Jahre alt. Ich glaube ich war der erste, der das Dōjō verlassen hat. Nein, Noro war noch vor mir dran. Er ging nach Frankreich. Tamura ist dann nach mir gegangen.

Kamen Sie zwischendurch mal nach Japan?

Ich war acht Jahre lang nicht in Japan, wegen Problemen mit dem Visum.  Es war sehr schwierig. Als ich Japan verließ, hatte ich schon eine Familie, eine Tochter.  Aber ich konnte sie nicht mit nach New York mitnehmen. Mein Lebensmittelpunkt war nicht in New York. Es gab keine Garantie, das die ganze Sache gut gehen würde, dass ich meinen Lebensunterhalt verdienen könnte, alles war neu. Ich musste also meine Familie zurücklassen. Ich hatte ein besonderes Visum, das zwei Jahre gültig war. Nachdem ich mich eingelebt hatte, holte ich meine Familie dann nach. Nach zwei Jahren lief das Visum ab und dann hieß es: »Geh’ nach Hause!« Das Visum war sehr speziell. Wenn ich das Land verlassen hätte, dann hätte ich zwei Jahre lang nicht wieder einreisen dürfen. Deshalb bin ich dann illegal in New York geblieben. Meine Familie habe ich zurückgeschickt. Ich habe acht Jahre auf eine unbeschränkte Aufenthaltsgenehmigung gewartet. Was ich sehr bedauere: Als Ōsensei verstarb konnte ich auch nicht nach Japan reisen. Wäre ich ausgereist, wäre mir zwei Jahre lang die Wiedereinreise verweigert worden. Das war für mich eine sehr emotionale und schwierige Zeit. Ich bin in New York geblieben, um meine Mission zu erfüllen. Das war ein sehr emotionaler und schwieriger Moment in meinem Leben.


Haben Sie noch immer Schwierigkeiten mit der Visa-Erteilung?

Nach acht Jahren wurde Nixon gewählt, das war besser für mich. Er stoppte das »Kultur-Austausch-Visum«-Programm. Dieses Visum unterlag sehr strengen Regeln des Arbeitsministeriums. Die Beendigung dieses Programms mache es einfacher für mich.


Was geschah dann mit Ihrer Familie?

Das ist auch so eine Sache. Meine erstgeborene Tochter ist Japanerin, aber meine anderen Töchter sind in Amerika geboren. Ich musste mich oft beschweren. Niemand hat sich um mich, meine Frau oder meine japanische Tochter geschert, doch jetzt hatte ich zwei amerikanische Töchter und plötzlich mussten sie sich darum kümmern. Ich habe mir einen Anwalt genommen. Ich erklärte ihm, dass mein Einkommen nicht reiche, um in Japan zwei amerikanische Kinder aufzuziehen. Sie haben dann eine Einkommenserklärung verlangt. Sie wollten wissen, wie viel ich in Japan verdienen könnte. Ich schrieb an das Honbu-dō- jō und fragte nach, wie hoch mein Gehalt dort wäre, falls ich zurückkehre Es war eine kleine Summe. Damit konnte man nicht zwei amerikanische Kinder ernähren.  Jetzt mussten sie sich drum kümmern. Ich hatte etwas Zeit gewonnen, aber mein Antrag wurde wieder abgelehnt. Mein Anwalt musste sich also etwas Neues ausdenken. Im Juni und Juli regnet es in Japan sehr viel, es ist feucht und warm. Das japanische Wetter ist für Kinder nicht gesund. Ich habe meine Papiere eingereicht und mein Antrag wurde wieder abgelehnt. Es war eine schwierige Zeit.

Fünfzehn Jahre lang war es unmöglich vom Aikidō-Unterricht zu leben oder ein Seminar wie dieses [in Brüssel] auszurichten. Es war sehr schwierig. Es gab keinen Markt dafür, die Aikidō-Population war zu klein.


War das Dōjō in New York ihr erstes Dōjō?

Ja, ich aber mein ganzes Leben in New York verbracht. Ich habe natürlich andere Städte besucht, um Aikidō zu verbreiten, aber mein Hauptquartier war immer in New York.


Was denken Sie über die Zukunft des Aikidō?

Gute Frage. Ich weiß es nicht. Ich wünschte, ich wüsste es, aber da kann man nichts machen. Soll ich optimistisch oder pessimistisch sein?

Optimistisch!

Yamada: Ich weiß immer noch nicht, worauf Sie hinauswollen. Hinsichtlich der Qualität? Nun, Aikidō wird sich weiterverbreiten, mehr Leute werden es betreiben.  Doch wenn man auf die Qualität achtet, da habe ich kein Vertrauen. Das ist unvermeidlich, es liegt in der Natur des Aikidō -- ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Es gibt gute und schlechte Dinge. Jeder kann leicht ein Lehrer werden.  Leute mit Shodan. Manche Leute folgen einer bestimmten Person. Die Qualität wird auf dem Niveau dieses Lehrers bleiben. Glücklicherweise begreifen manche Schüler das Aikidō aus mehr besteht und dann verlassen sie diesen Lehrer. Aber das ist eine heikle Sache, ich möchte niemanden beleidigen.
Es ist kein Geheimnis, dass es einen Unterschied zwischen Quantität und Qualität gibt. Auf der Matte kann ich nicht vorhersagen, wer ein guter Lehrer ist oder sein wird. Ich bin leider der letzte meiner Generation. Das ist für mich ein sensibles Thema.  Nicht viele Leute haben die gleichen guten Erfahrungen wie ich. Es fällt mir schwer darüber zu sprechen, ich möchte niemanden herabsetzen. Wie werden Aikidō weiterverbreiten, aber die Qualität und Tiefe? Schauen wir doch nur auf mein eigenes Dōjō. Ich bin nicht zuversichtlich. Was wird in 10 Jahren sein? Es wird alles anders sein. Es wird in 10 oder 20 Jahren vielleicht noch jemanden geben, der bei mir gelernt hat. Wenn ich Glück habe, werden die Leute sich an mich erinnern, vielleicht auch nicht. Es passiert schon. In Frankreich kennen ich nicht viele Leute wie Tamura-Sensei. Seinen Wert und seine Fähigkeiten.

Die Erinnerung schwindet. Leider. Ich sollte nicht so negativ sein, aber so sieht es aus. Ich weiß es nicht. Ich hoffe, die Zukunft wird gut. Ich werde das oft gefragt. Ich könnte sagen: «Kein Problem, es wird alles gut», aber ich will ehrlich sein. Ich kann da nichts ausrichten. Ich sorge mich, nein, nicht sorgen, ich frage mich, wie es wohl werden wird.


2010 hat eine der großen französischen Vereinigungen sich geteilt. 10.000 Mitglieder haben eine unabhängige Vereinigung gegründet.

Das ist eine weitere meiner Sorgen. Früher gab es in Frankreich zwei vom Aikikai anerkannte Gruppen. Heute erkennt der Aikikai so viele kleine Gruppen an. Vorher war die gesamte Aikidō-Gemeinschaft in zwei Organisationen vereint. Ich weiß nicht, wie sich die Organisationen weiterentwickeln. Darum soll sich der Aikikai kümmern. Es ist eine schwierige Situation. Idealerweise sollte es in jedem Land eine Organisation geben, die vom Aikikai anerkannt wird. Aber das ist unmöglich.  Ich komme gerade aus Russland zurück. Da gibt es all die vielen nationalen Organisationen Sie kamen zu mir, um sich zu beklagen. Der Aikikai hat dort 18 Organisationen anerkannt. Das ist verrückt. Sie zerstören die Organisation es passiert. Manche machen nicht einmal Aikidō. Da findet ein Seminar statt, es kommt jemand aus Japan. Ein Seminar mit 80 Leuten, dann ist wieder ein Seminar mit irgend einem Jungen aus Japan. Ich war so wütend.


Der junge Mann war auch vom Aikikai entsandt?

Ja, vom Aikikai. Danach war ich in Brasilien. Gleiche Geschichte. Am gleichen Wochenende hat dort noch ein weiteres Seminar stattgefunden. Hier ist es einfacher, weil Tamura hier ist. In den USA ich und mit Asai in Deutschland ist alles unter Kontrolle. Doch was kommt danach? Ich bin da sehr negativ. Besonders für das Aikidō. Aikidō soll angeblich Harmonie sein. Aber wir haben das Gegenteil von Harmonie. Ein weiterer Grund dafür ist, dass es keine Wettkämpfe gibt. Es ist gut, dass es keine Wettkämpfe im Aikidō gibt. Vielleicht können wir diese Probleme in Zukunft verhindern, aber mit dieser neuen Generation an Schülern ist es schwierig die traditionelle Moral aufrecht zu erhalten. Es gibt keine Respektspersonen mehr. Die Leute werden von niemandem mehr zusammengehalten. Manche stehen noch loyal zu Tamura, aber das wird vergehen. Tut mir leid, dass ich so negativ bin, aber das ist eine weitere Tatsache, die niemand leugnen kann. Es passiert in allen Ländern. Wer verursacht diesen Ärger? Der Aikikai. Ich bin in einer schwierigen Lage, da ich ein Repräsentant des Aikikai bin, aber ich muss auch meine Leute verteidigen. Das ist ein Dilemma für mich. Ich muss gleichzeitig die Interessen des Aikikai und meiner Schüler schützen. Dafür muss ich kämpfen. Doch ich wiederhole: Ich bin der letzte, der noch dem Aikikai beisteht. Darum gibt es so viele Probleme, so viele Beschwerden. Wegen des Internet beschweren die Leute aus der ganzen Welt sich bei mir. Es gibt einfach niemand anderen, an den sie sich wenden können, darum bin ich auch so beschäftigt. Ich war in St. Petersburg, Mitglieder einer großen Organisation kamen aus dem fernen Moskau, um sich bei mir über den Aikikai zu beschweren. Alle, die eine Meinung brauchen, kommen zu mir. Was wird passieren, wenn ich einmal nicht mehr bin? Keiner! Sie wissen, dass mein letzter Uchi-Deshi-Bruder Chiba jetzt auch weg ist. Es ist keiner mehr übrig aus meiner Uchi-Deshi Zeit, Arikawa, Tamura, Noro, ich, Kanai, Sugano, alle weg. Ich bin übrig. Ich weiß es nicht.  Ich habe mal eine Geschichte geschrieben für das japanische Aikido-Journal. Die Geschichte geht so: Ich schlafe und Ōsensei erscheint mir im Traum. Ich frage ihn: »Was hast du mit allen meinen Uchi-Deshi-Freunden gemacht?« Er antwortet: »Ich verbreite Aikidō im Universum, ich brauche Hilfe, ich habe sie zu mir gerufen.« Ich sage: »Warum bin ich noch hier?« »Deine Mission ist noch nicht erfüllt. Du musst noch bleiben.« Das war meine kleine Geschichte.


Ich erinnere mich, dass Doshu vor vier Jahren sagte, dass sein Großvater sich fragte, wie viele Leute verschiedenes Aikido üben und verschiedene Gruppen gründen...

Er war überrascht. Das ist die Natur des Aikidō, Aikidō ist so flexibel. Das ist anders als im Jūdō.  Im Jūdō haben alle die gleichen Wurzeln. Es gibt Unterschiede, je nach Körperbau: schwer, dünn, groß.  Im Jūdō ist das so offensichtlich. Ein Ippon hier ist auch ein Ippon dort. Darum ist es auch so schwierig, die Aikidō-Techniken zu benennen. Alles kann eine Technik sein. Wenn Ōsensei uns zuschaute, sagte er: »Das habe ich nicht unterrichtet.«


Er hat was anderes gemacht?

Natürlich! Die einzigen Techniken, die ich Ōsensei habe machen sehen, waren vielleicht Irimi-Nage, Ikkyō und Shihō-Nage. Das sind die Techniken, an die ich mich erinnere. Alle die anderen Techniken stammen von den anderen Leute Lehrern: Dōshū, Tohei, Arikawa. Manche der Techniken, die ich zeige, sind mir selbst eingefallen. Zufällig. Aikidō entsteht in jedem Augenblick. Es kommt alles auf das Timing an, den Angriff. Die Aikidō-Techniken in den Lehrbüchern: Ikkyō, Nikyō, Shihō-nage, kote-gaeshi. Wer hat die zum Aikidō hinzugefügt? Ōsensei hat nicht systematisch gearbeitet. Für Ōsensei war es einfach die Art und Weise wie er sich bewegte. Man kann nicht einfach jeder Bewegung einen Namen geben. Es gibt einfach keine Grenzen. Doch trotzdem musste man irgendwelche Namen erfinden, für die Prüfungen. Bei Ōsensei gab es keine Prüfungen. Er hielt das für nutzlos.  Es gab keinen Grund für ihn, allen Bewegungen einen Namen zu geben. Ich glaube, dass Kisshōmaru das erledigt hat.


In einer unser letzten Ausgaben steht ein Satz von Peter Goldsbury. Er ist sich sicher, dass Dōshū und Waka-Sensei unmöglich Aikidō verstehen können.

Ich rede gelegentlich mit Goldsbury, er ist mein guter Freund. Ich habe ihn zum Shōdan geprüft. Wir beide sind uns in der Einschätzung des IAF einig. Ich bin deswegen wütend, deshalb halte ich mich davon fern. Ich helfe bei den Seminaren, aber ich gehe nicht zum IAF, weil sie Marionetten des Aikikai sind. Der Aikikai hat einen neuen Verantwortlichen bestimmt. Ich sollte das eigentlich nicht sagen, aber es ist hoffnungslos. Selbst mit dem jetzigen Dōshū, ich glaube nicht, dass er weiß was er tut. Er ist kein Anführer. Ich mag seinen Sohn, und ich bin loyal zur Familie Ueshiba. Aus meiner Sicht war alles zu ende, als der zweite Dōshū Kisshomaru verstarb.

Ich mache das hier, um mein Geld zu verdienen und für meine Schüler. Viele andere sind derselben Meinung, aber sie sind zu höflich und deshalb schweigen sie. Doch ich höre nichts als Kritik über den Aikikai und das Familiensystem. Es ist ja wie in Nordkorea. Ich mag den jungen Sohn. Wer wird ihm alles über die Geschichte erzählen? Wenn ich von der Zukunft spreche, dann ist das ein weiterer Grund pessimistisch zu sein. Tut mir leid, dass ich so negativ bin, aber ich bin ehrlich. Ich kann nichts machen. Letzten Sommer habe ich den jungen Ueshiba zu meinem Sommercamp eingeladen. Ich habe eine Woche mit ihm verbracht. Ich habe versucht, ihm alles über seinen Großvater zu erzählen. Als er zu mir kam, sagte er zu mir: »Sie haben mein Leben gerettet!« »Was meinen Sie?« Er erklärte mir, dass er als kleiner Junge von vielleicht 4 oder 5 Jahren unter einem Auto gespielt hatte und dann kam der Fahrer und wollte losfahren. Ich schrie ihn an, er müsse stehenbleiben. Er nannte mich seinen Lebensretter. Er steht mir sehr nahe. Ich habe ihm alte Geschichten über seinen Großvater erzählt.

Selbst für den zweiten Dōshū war es zu früh, um der Chef zu werden. Er hatte selbst noch nicht genug trainiert, qualitativ. Aber das ist wieder einmal die Natur des Aikidō. Wenn man sich bewegen kann, dann wird der Uke folgen. Aber er hatte noch nicht genug Zeit auf der Matte verbracht. Es war das gleiche bei seinem Vater. Als der jetzige Dōshū noch jung war, hatten Tamura und ich dem Aikikai angeboten, dass wir uns um ihn kümmern könnten. »Warum überlasst ihr ihn nicht uns für eine Weile. Wir kümmern uns um ihn. Er kann internationale Erfahrungen sammeln.« Sie haben abgelehnt. Doch man soll die Welt sehen und nicht nur davon erzählt zu bekommen. Sie hätten ihn gehen lassen sollen. Das ist für einen zukünftigen Anführer ein Teil der Ausbildung. Sie hätten ihn nach Frankreich und Amerika schicken sollen. Wir hätten uns um alles gekümmert. Das wäre eine wichtige Erfahrung gewesen.


Ōsawa ist in La colle gewesen ...

Ich lade Ōsawa immer noch ein, auch wenn er es nicht mehr nötig hat. Von all den jungen Leuten halte ich Ōsawa für den besten. Deshalb ist er auch immer so beschäftigt. Er kann gut mit den Leuten umgehen. Seine Techniken sind sehr rein. Die jungen Leute machen im Allgemeinen keine reinen Techniken. Sie wollen sich nur wichtig machen.  Nur die wenigsten Leute beherrschen die Techniken, wie sie in den Lehrbüchern stehen. Grundtechniken, nicht ihre eigenen Erfindungen.  Ich mag es nicht, wenn Leute von ihrem eignen Stil sprechen. Die Techniken müssen stark und einfach sein. Heute ist vieles zu verarbeitet und verdünnt, leider.

Manche Leute sagen, dass die Individualität das Gute am Aikidō sei. Ich weiß es nicht, vielleicht stimmt das, aber es macht die Sache auch sehr kompliziert.


Ist das der Grund, warum der Sohn von Noro sich jetzt Asai angeschlossen hat?

Ist das so? Asai und Noro sind gute Freunde. Ich dachte, er hätte eine Tochter.


Er ist zu Asai gegangen, weil er mehr über den Weg seines Vaters lernen will.

Asai und Noro sind gut befreundet.


Bitte erzählen Sie uns noch mehr darüber, wie Sie die Zukunft des Honbu-Dōjō einschätzen.

Ich sollte nicht soviel darüber reden. Das verärgert den Aikikai.


Vor sechs oder sieben Monaten habe ich mit Kobayahi Yasuo gesprochen und ihm die gleiche Frage gestellt. Er sagte: «Ich bin ein Lehrer des Honbu. Fragen Sie mich in zwei Jahren noch einmal, dann bin ich frei. Dann können wir darüber sprechen.»

Na ja, er ist ein Angestellter des Aikikai. Ich kenne ihn und viele seiner Generation. Sie haben alle etwas zu erzählen, aber sie dürfen es nicht, weil sie für den Aikikai arbeiten. Vielleicht klappt es besser, wenn sie in Rente sind.

Sie sagten, es wäre ihnen verboten über Ōsensei zu sprechen.

Sie machen Witze!? Das ist verrückt. Der jetzige Dōshū ist sehr vorsichtig. Er weiß nicht, wie er mit mir umgehen soll.

Das ist Politik.

Er behandelt mich auf zwei verschiedene Weisen. Einerseits ist er sehr nett. Ich kannte ihn als kleinen Jungen. Für ihn ist es wirklich schwierig. Peter Goldsbury ist auch dieser Meinung. Tut mir leid, dass ich so negativ sein muss, aber so ist es.

Ich hatte früher eine gute Verbindung mit Kei Isawa, aber nach dem Kongress in Japan war das vorbei.

Er ist ein schrecklicher Kerl. Es gibt so viele Probleme mit ihm, aber Dōshū hat ihn ernannt. Die Wahl war abgesprochen. Sie wollten einen Ja-Sager.

Vier Wochen zuvor hatte er mir noch gesagt, Wilko sei ein A***, dann sagte er mir, ich sollte mit ihm sprechen.

Ich konnte es nicht fassen, als Dōshū das tat. Er lebte in Amerika. Er ist ein Schüler von Kanai. Und plötzlich war er Generalsekretär. Er ist nicht einmal Mitglied des USAF. Man sollte doch jemanden auswählen, [der etabliert ist]. Er kam aus dem Nichts. Sie haben ihn zum Mitglied der All Japan Aikidō Federation gemacht. Das war auch abgesprochen. Sogar ich – der Direktor von Amerika – wurde darüber erst in der allerletzten Minute informiert. Ich war so wütend. Ich bin aber froh, dass ich Sie jetzt richtig verstehe. Ich dachte erst sie hätten behauptet, ich sei ein guter Freund von Kei Isawa. Der Kerl ist furchtbar mit mir umgegangen.

Lassen Sie uns noch ein wenig über die Zukunft des Aikidō sprechen.

Na gut, dann frage ich wieder: In welcher Hinsicht? Wie ich schon sagte: Es wird mehr Leute geben, mehr Diversität, doch die Qualität ... Es ist schwer einzuschätzen.

Wenn wir vielleicht etwas ändern ... ?

Aber wer soll das machen? Die Antwort ist: Wenn der Aikikai eine starke Organisation wäre, dann könnten alle mit ihren Fragen nach Japan gehen. Doch es gibt heute zu viele Stile. Es ist zu verwirrend. Wenn der Aikikai eine hohe Qualität bieten würde, dann würden alle dorthin strömen, zum Mekka. Aber so ist es nicht. Die Leute sind verwirrt. Es ist keiner da, zu dem man aufschauen kann. Es gibt keinen Respekt und kein Symbol. Zu wem soll man auch aufschauen? Es ist keiner da? Wie lange wird Asai noch da sein?  Er hat mein Alter. Dann wird keiner mehr da sein.

Wie steht es um Ihre eigene Organisation?

Die USAF ist solide, aber wer weiß was die Zukunft bringt.  Ich kann nicht jede Nacht wach liegen, um über die Zukunft nachzudenken. Es bleibt schwierig. Von Land zu Land gibt es unterschiedliche Mentalitäten, verschiedene Situationen. Auf internationaler Ebene ist es schwierig die Leute zusammenzubringen. Besonders in Südamerika. Dort ist die Mentalität eine andere. In Europa ist es ziemlich einfach. Die Leute stehen mir nahe und sind sehr freundlich, sie haben die gleiche Mentalität. Mit Europa bin ich sehr zufrieden, alles läuft prima. Ich habe Dōshū schon mein Testament geschickt. Er soll sich um alle kümmern, um die ich mich im Moment kümmere. Ich werde wohl Ōsawa zu meinem Nachfolger ernennen, ich zähle auf ihn. Ich schulde es seinem Vater. Wir standen uns sehr nahe. Ich respektiere ihn und er respektiert mich und er ist ein sehr gerechter Mann. Auf technischer Ebene soll er sich um meine Schüler kümmern. Falls meine Schüler das auch wollen, selbstverständlich.

Ich denke oft über die Zukunft nach. Ich versuche alle in die Unabhängigkeit zu führen und ihre Anerkennung durch den Aikikai zu erreichen. Chiba hat das ebenso gehandhabt. Selbst in Frankreich hat sich das geändert. Zu meiner Überraschung wurden sie anerkannt. Jetzt gibt es dort viele Gruppen.

Chiba und Tamura sind gut befreundet.

Sie habe völlig verschiedene Charaktere.

Ich habe Tamura und seine Ehefrau bei einem Seminar von Chiba gesehen.

Ja, sie sind immer noch gute Freunde, so heißt es …

Wenn Sie die Anfänge betrachten, als sie vor zehn Jahren nach Deutschland kamen, im Vergleich mit heute, wie es sich international entwickelt hat...

Die Situation ist eine ganz andere, es ist eine andere Welt. Jetzt ist es einfach. Kommunikation ist einfach. Die neue Technik ändert alles. Die Leute sind besser informiert. Zum Guten und zum Schlechten. Es gibt keine Geheimnisse mehr. Es ist schwierig damals und heute vergleichen. Die Umstände sind andere. Heute kann jeder alles beobachten.

Früher musste man einen Brief verschicken. Das ist heute anders. Die Menschen sind unterschiedlich, darum gibt es verschiedene Gruppen. Es gibt eine starke Konkurrenz verschiedener Freizeitangebote, wie Yoga, Fitness-Training oder Jogging.

Manche Leute unterrichten Aikidō professionell. Andere unterrichten in ihrer Freizeit. Unterschiedliche Mentalitäten. Ich kann nicht sagen, was besser ist.


Waren Sie im September in Japan? Ich war eingeladen. Dann sagte mir Wilko, sie werden mich nächstes Jahr einladen.  Sie haben einen Manager für Öffentlichkeitsarbeit angestellt, Guillaume Erard, er ist sehr fleißig.
Wilkos Ehefrau ist Japanerin, richtig? Sie ist furchtbar. Beim letzten Leistungstreffen war sie als Übersetzerin dabei. Das war schlimm.


Möchten Sie noch etwas sagen?

Ich denke es ist wichtig, dass es jemanden wie Sie gibt. Ein Journalisten, der die Sachen aus einem fairen Blickwinkel betrachten kann. Sie sind wichtig. Ich hoffe, dass Sie über die Kraft verfügen die Wahrheit auszusprechen. Man kann nicht immer nett sein. Man ist der Wahrheit verpflichtet. Jemand muss es tun. Man darf kein Ja-Sager sein.

Ich bin frei. Ich empfehle Ihnen den Kontakt mit Peter Goldsbury aufrechtzuerhalten. Er weiß alles. Er ist sehr klug.

Wir arbeiten schon mit ihm zusammen.

Nebenbei bemerkt: Leo Tamaki ist in mein Dōjō gekommen. Er möchte mich noch einmal interviewen, im Oktober, wenn ich in Brüssel sein werde.

Leo schreibt auch für mich. Er schreibt, transcripiert, außerdem für seine Website und noch für ein weiteres Magazin in Frankreich. Vielen Dank für Ihre Zeit.

Yamada: Ich hoffe die Fotos sind gut geworden.


 

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