Gerhard Walter

Teil 1


Gerd während des Gespräches in Neu-Venedig

AJ: … hattest du zu der Zeit schon dein Dojo in Berlin?

Nein, zu der Zeit hatte ich kein Dojo in Berlin. Ich lebte und arbeitete in Hamburg. Von dort bin ich direkt nach Paris zu Noro auf die Matte gegangen - es begann »ein neues Leben«. Dort lernte ich Graf Dürkheim kennen. Er machte irgendeine große Demonstration in einem Theater, bei dem ich mitmachte … Ich weiß noch, es war 1971, dass ich nach Paris kam – Asai war dort und fragte mich: »Haben Sie einen Anzug«? Ich antwortete: »Ja, natürlich!«. (Ich war ja schließlich nach Paris gegangen, um  Aikido zu machen und nicht …). Er meinte dann: »Nein, nein, einen richtigen Anzug!« Nun, ich war ja nicht dort, um durch irgendwelche Salons zu schleichen, sondern um zu trainieren …  Noro lieh mir dann einen Anzug, der mir oben passte, unten, mit Schlaghose, aber zu kurz war (!) – ich war »etwas irritiert«. Ich war ja gerade von der Bahn gekommen und nun wurden wir in ein Auto verfrachtet und fuhren los. Ich verstand nur … »Sie machen Uke! « … » Wir hielten an einem Hintereingang, stiegen die Treppen hoch und zogen uns um, Asai und ich. So saßen wir im Gi hinter einem roten Vorhang, der sich dann öffnete, und wir fanden uns in einem großen vollen Theater wieder. Bemerkenswert fand ich, dass Noro nicht seine Leute nahm, sondern Asai und mich.

Im Nachhinein wundere ich mich noch immer, denn ich kannte Noro nicht großartig. Irgendwann sagte Asai zu mir: „Herr Walter, kommen Sie mit nach Brüssel!“ Dort hat er mich dann Noro vorgestellt.  
Nach dieser Demonstration sprach mich Graf Drückheim an und erklärte mir, dass er aus dem Schwarzwald käme und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, dort einmal hinzukommen. So stand sein Angebot … Ich traf in mehrfach in Paris – er bohrte immer weiter und sagte dann irgendwann, Meister Noro wäre damit einverstanden …

In Paris hatte ich keine Einkünfte, nur das Ersparte aus meiner zweijährigen Hamburger Arbeit in der Werbung. Solche Ersparnisse sind in Paris schnell aufgebraucht; dabei schlief zwar im Dojo, in der rue Constance, das sich gleich neben einem Bordell befand. So wurden des Nachts neben meinem Schlafplatz hinter einer Glastür Werbegespräche und Preisverhandlungen geführt … Um der Ebbe meiner Kasse zu begegnen, folgte ich der Einladung Dürckheims und ging nach Rütte in den Schwarzwald.

AJ: Was bedeutete Dürckheim für dich?

Wenn ich ganz ehrlich bin, nichts. Ich möchte jetzt nicht Noro als Erklärung heranziehen, aber dieser sagte, die Leute von Dürckheim hätten den Mittelpunkt im Kopf. Das war nicht maßgebend für mich.

Es war zu der damaligen Zeit eine ziemliche Leistung von Frau Maria Hippius und Dürckheim, ein solches Zentrum aufzubauen. Sie leiteten das Zentrum zu gleichen Teilen, wobei Dürckheim mehr die Außenarbeit leistete, Maria Hippius aber innen viel wichtiger war als er. Das war so nach C. G. Jung therapeutisch aufgebaut. Das waren für mich paradiesische Zustände – 20 Therapeutinnen und ich. Dürckheim hatte mehr den asiatischen Aspekt und die Hippius eher den C. G. Jung-therapeutischen Bereich, wie Maltherapie, Trommeln etc.
Dort habe ich mit Aikido zu ersten Mal Geld verdient. Ich hatte eine schöne kleine Wohnung und ein wunderbares kleines Dojo. Aber es waren immer nur Anfänger da – ich musste mit Leuten arbeiten, die sich nicht einmal annähernd mit Aikido beschäftigt, geschweige denn sich darin bewegt hatten – also immer nur Basis-Geschichten »stehen, drehen, tai sabaki - 体捌き - und ein wenig Technik«.


Du sagtest vorhin, dass ich ja noch Anfänger war. Ich würde da unterscheiden wollen, denn schon von einem Anfänger und nicht Anfänger zu sprechen, ist problematisch. Auch Noro spricht in seinem Buch, das jemand anderes geschrieben hat, dass er kein Meister, sondern ein Künstler sei.
Will man beispielsweise einen Künstler einen Anfänger nennen? Ich sehe mich nicht als ein solcher – es ist ein Beispiel. Aber in Kategorien wie »Anfänger« und »Fortgeschrittene« möchte ich auch nicht denken. 
Es ist klar, wenn man mit irgendeiner Sache beginnt, dann ist man natürlich Anfänger,  was dann aber ein sehr begrenzter Blick auf eine Sache oder ein Metier ist. Wenn es aber um den ganzen Menschen geht, kann man da ein Anfänger sein? Anfänger im Stabhochsprung oder im Sackhüpfen ja, aber im Leben …? So habe ich mich nie als Anfänger verstanden. Ja, ich war Anfänger im Aikido – Aikido war für mich nie ein Zentrum, nur ein Ausdrucksmittel, ein Weg, mich oder meine Position in der Welt zu finden …

… ich sehe viele Anfänger im Gehen – manche das Leben lang. Das ist aber nur …



… ja, aber das ist das Symptom, denn wie kommt es, dass ein Kung-fu Meister sagt, das Geheimnis des Kung-fu ist das richtige Gehen, das richtige Stehen, das richtige Atmen. Ist da im Leben nicht etwas schief gelaufen? Wenn er sagen würde, du musst mit einem Bambusstab fünf Meter hoch springen, dann ist das eine Herausforderung. Aber Gehen, Stehen … – wie sagte Ueshiba: die Effektivität liegt in natürlicher Bewegung. Wie kann natürliche Bewegung für ein naturbegabtes Wesen zum Geheimnis werden? Das ist nicht die wirklich spannende Geschichte. In dem Sinne ist Aikido nur ein Vehikel.

Zurück zur Eingangsfrage – Dürckheim war für mich zu »aufgekratzt«. Nicht der große Guru, oder Meister oder …

… für die Therapie vielleicht.

Ja, vielleicht.

Er hat ein wenig Japan oder Asien nach Europa gebracht, auch für die so genannten Nazis.

Ja, er war sicherlich eine Zeit lang wichtig für diese Entwicklung, aber was heißt das schon. Er war an dem Punkt und das ist gut, dass er da war.

Er hatte das Glück, dass er von den Nazis des 1000-jährigen Reiches nach Japan geschickt wurde …

…und dass er so viele wunderbare Bilder mitbringen konnte. Mir überreichte er ein Bild für die Zeit meines Aufenthalts in Rütte im Schwarzwald. Dazu sagte er: »Passe gut darauf auf, das ist ein Bild des japanischen ‚Dürer‘«. Das konnte er einfach so mitnehmen, hat es eingepackt und fertig – die »eigene Kunst« hatte damals in Japan wohl keinen hohen Stellungswert. Er konnte es einfach so mitnehmen.

War sein Wirken nicht eher wissenschaftlich orientiert?

Ich hatte eine Erfahrung mit ihm, die mir komisch vorkam – das war zu einem Zeitpunkt, als er schon fast erblindet war. Wir gingen abends essen und er war im Begriff, gegen eine Säule zu laufen – ich kenne mich damit ein wenig aus, weil meine Mutter blind war – so griff ich nach seinem Arm, den er wegriss und fauchte mich mit den Worten »ich kann sehen« an, obwohl er fast blind war. Sprich, er hatte nicht die Größe zu sagen – ja, im Alter, machen es die Augen nicht mehr so …
Ich habe viele Menschen getroffen, die seine Bücher gelesen haben, darin ist wohl seine Wichtigkeit zu sehen, aber das ist mehr die Richtung Zen.

Was hat sich Dürckheim von dir versprochen?


Er hat zum einen in Japan ein wenig Praxis mit dem Bogenschießen gehabt und er meditierte. Ich hatte das Gefühl, dass sich Noro von Dürckheim einiges versprach, aber du siehst mit ratlos – ich weiß es nicht. Noro war kein schlechter Stratege. Dürckheim hatte bereits einen Namen – selbst in Frankreich – Noro selbst war immer noch »frisch« in Europa. Irgendwie haben sie sich gefunden – er bezeichnete ihn ja als Freund, wobei mir die Bedeutung des Wortes in dem Verhältnis nicht klar ist. Eine Zweckfreundschaft ist auch gut möglich.

Vorstellbar …

… ja.


… war das Aikido von Noro für deine Kenntnis schon different – falls du das beurteilen kannst?


… ja, sie hatten alle unterschiedlich Ansätze.

Tada mit seiner Aussage, wenn du die geistige Seite des Aikido nicht verstehst, dann brauchst du mit dem Aikido nicht anzufangen. Er hatte seine ganz eigenen Zugang mit seiner hochenergetischen martialischen Herangehensweise oder mit seiner strengen Haltung in jeder Bewegung.

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