Gespräch mit Adriano Trevisan aus München.

… Aikido entzieht sich diesen statischen Gesetzen, man kann kein Mosaik daraus machen.


Adriano während unseres Gesopräches in seinem Dojo in München.

In den Anfängen des Aikidojournals haben wir schon einmal ein kleines Gespräch mit Dir veröffentlicht, auch Dein Buch haben wir besprochen …Hast Du nicht vor einiger Zeit Dein 30-jähriges Aikidojubiläum gefeiert?

(Längeres Nachdenken)
Oh, das ist jetzt schon fünf Jahre her! Auch sind es mittlerweile elf Jahre, dass ich hier in diesem Dojo in der Wörthstraße bin.


Dein Weg ist immer noch der von Nishio Sensei?

Ich arbeite sehr viel, und ich habe das Gefühl, dass es immer mehr wird. Meine anfängliche Arbeit, bei der mich Nishio Sensei bestätigte, wird aber immer komplexer… Ich bin, wenn Du so willst, auf einem anderen, ungewöhnlichen Weg zu Nishio Sensei geraten. Ich kopierte ihn nicht einfach, wie ich es bei Vielen sah, die ihn in ihrer totalen Begeisterung zu kopieren versuchten, denn ich hatte ja schon meine Erfahrung. So ließ ich langsam seine Technik in mich hineinsickern. Ständig prüfe ich, warum ich mich so bewege und warum er sich so wie ich oder anders bewegt. Ich habe dann versucht seine Bewegung zu erlernen, um sie mit dem zu vergleichen, was ich bisher, auch in den 25 Jahren vor Nishio, erlernt hatte. Ich kann mich niemals so wie er bewegen, jedoch kann ich das von ihm Erlernte für mich umsetzen.

Sicher ist, dass er einen unverkennbaren, eigenen Stil hat. Ich sehe aber auch Parallelen zu anderen Meistern:. Nishios Fußstellung ist z. B. der des kürzlich verstorbenen Hirokazu Kobayashi ähnlich. Was Nishio meines Erachtens allen anderen aber voraushat, ist seine Waffenarbeit, die schon sehr speziell ist. So wie er mit dem Jo und mit dem Bokken umgeht, vor allen aber die von ihm hergestellten Zusammenhänge zum waffenlosen Ausführen der Technik, dies macht seinen Unterricht einzigartig. Die von ihm gezeigten Bewegungen bilden ein geschlossenes, sich aber immer wieder erweiterndes System.

Nehmen wir z. B. das Iai-do, das er zeigt. Wenn man es sehr lange übt, und nur erst dann, versteht man, warum er es so zeigt. In seinen gesamten Techniken findet man das geschlossen wieder, was er in seinem Iai-do zeigt. Aber, wie gesagt, man muss es lange üben, bis man es versteht.

So war es logisch, dass ich Veränderungen bei mir habe einfließen lassen. So hat sich z. B. mein shihon-nage nur geringfügig, der nikyo aber auffällig verändert. Meine Fußstellung hat sich etwas verändert, der Abstand der Füße ist wesentlich geringer geworden. Aber auch das kann man nicht von heute auf morgen assimilieren. Man muss erst die Zusammenhänge erfassen und verstehen können, dass die Ausführung bestimmter Techniken erschwert wird, wenn man zu breite Schritte macht. Es stellt einen globalen Lernprozess dar.


Das ist doch auch die natürliche Haltung.

Ja, ich habe noch niemanden gesehen, der breitbeinig spazieren geht.

Wenn man sieht, wie sich Nishio bewegt, dann versteht man nicht gleich, was er zeigen will und warum er es zeigt. Man muss schon länger bei ihm trainieren, um die Feinheiten zu erkennen, denn erst dann erkennt man, dass alles sehr einfach ist. Es ist nie ein Widerstand da, immer nur eine Drehung, die vom ganzen Körper durchgeführt wird. Die Fußarbeit ist dabei sehr präzise.

Ich glaube, das ist genau das Problem, was beim Aikido oft nicht berücksichtigt wird, die Arbeit der Füße. Darauf wird viel zu wenig geachtet. Die meisten sind mehr auf die Wirkung der Bewegung auf die Zuschauer bedacht. Die Verpackung stimmt, der Inhalt bleibt fragwürdig.

Ich halte Nishio für ein Genie in seinem Fach. Sein System ist einfach genial. Jetzt, wo ich schon so lange in dieser Richtung arbeite, sehe ich die Unterschiede zu anderen. Aber ich denke, Lehrer wie Tamura, die haben auch eine sehr gute Entwicklung hinter sich. Lernen kann man allemal von ihnen.

Tamura zieht z. B. den shihon-nage mehr nach außen, dafür muss er aber einen Schritt mehr machen. Nishio macht ihn mehr oval.


Also tiefer gehend?

Ja, wegen des Schwertziehens.

Ich darf Dir aber sagen, dass ich z. B. bei Tamura den shihon-nage so gelernt habe, dass man eng am Körper des Partners steht, mit übersetzten Füssen, sehr tiefgehend drehend und wieder hoch, sodass die Füße also auf der Stelle bleiben. (Ich führe es vor). »Um den Partner nicht zu stören«, waren seine Worte dazu.

Ja, die Füße schon, beide Hände aber fern vom Partner vor der eigenen Stirn.


Mal abgesehen von Tamura oder Nishio, erzähl doch was über Deine Entwicklung.

Nun, ich wiederhole, dass Nishio mich sehr beeinflusst hat. Vor allen Dingen in den vergangenen fünf Jahren hat mich seine Waffenarbeit stark beschäftigt. Endlich habe ich gefunden, was ich viele, viele Jahre gesucht habe. Ich habe schon früher omorio iai-do geübt. Auch habe ich versucht, katori shinto ryu iai-do aus Büchern zu studieren. Die Stock- und Schwert-techniken von Saito habe ich ebenfalls erlernt. Aber ich war mit alldem nicht zufrieden. Alles war teilweise zu starr, zu festgelegt. Als ich dann die Arbeit von Nishio sah und diese lernte, da wurde mir bewusst, dass es im Vergleich zu dem, was ich bisher gelernt hatte, einen großen Unterschied gab.

Das hindert mich nicht daran, das schon Erlernte weiter zu pflegen.

Leute tendieren schnell zum Sektentum. Ich sehe viele, die einen Lehrer sehen und ihn dann kopieren, um dann seine Lehre als die »einzig Wahre« zu missionieren… Ich fühle mich glücklich, wenn ich mich bewege und merke, dass ich dadurch ein Problem lösen kann…

Nishio hat bei mir viele Knoten, viele Probleme gelöst. Viele Fragen wurden durch das beantwortet, was er gezeigt hat. Natürlich gibt es da noch viel zu erforschen, aber vom Prinzip her ist vieles klar.

Für mich ist es wichtig, nicht zu kopieren, sondern zu assimilieren. Er sagt auch ganz klar: »Ich habe euch etwas gegeben, ihr müsst es weiterentwickeln«. Auf dieser Basis muss man das eigene Aikido finden. Da ich weiß, dass das nie endet, kann ich doch relativ zufrieden sein.

Ich kann auch sagen, dass ich, obwohl ich schon einige Jahre mit ihm arbeite, erst in den letzten fünf bis sechs Jahren etwas von ihm mitgenommen habe, denn in den ersten beiden Jahren habe ich nur sehr wenig verstanden. Es war eine Auseinandersetzung mit einer neuen, mir unbekannten Welt, bis ich dann Parallelen zum schon Erlernten fand. Das ist wie beim Spielen von Musik, erst müssen die Noten gelernt werden, bis man sie dann endlich auswendig spielen kann. Dann übt man die schwierigsten Stellen, und irgendwann fängt es an zu fließen. Das ist wie im Aikido. Man bewegt und bewegt sich, bis man in Fluss kommt.

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