Jaff Raji Interview aus AJ 69DE

Die Kraft der Vermittlung

Aikidojournal Interview

Wo bist du geboren ?

Ich bin1960 in Casablanca, in Marokko geboren. Mit meinen Eltern bin ich 1966 nach Frankreich umgezogen. Das war vor genau 45 Jahren.

Mein Vater war schon seit zwei Jahren hier, er kam um in der Umgebung zu arbeiten. Bei einer Baufirma in Rennes hatte er einen Arbeitsvertrag für eine lange Zeit und konnte uns also nachholen – meine Mutter und 7 Kinder. Wir haben die große Reise mit dem Zug von Casablanca durch Spanien bis Rennes gemacht. Ich war 6 Jahre alt. Ich habe mehr Erinnerungen von dieser Reise und was ich danach in Frankreich erlebt habe, als von der Zeit in Marokko. Manche Bilder von meiner Lebenszeit bis 6 Jahre kommen in meinem Gedächtnis mittlerweile während meiner persönlichen Entwicklung, die von meiner Budo Arbeit abhängig ist. Besonders die Beziehung zu meinem Großvater.

Ich glaube eigentlich, dass ich Glück hatte, denn als mein Vater in Frankreich lebte, war ich unter der Obhut meines Großvaters. Ich war der Jüngste meiner Brüder und man musste mich mehr als die anderen erziehen. Also habe ich eine unmittelbare Beziehung zu meinem Großvater. Nun kann ich verstehen, dass der Einfluss meines Großvaters auf mich stärker war, als der meines Vaters. Diese Reise war ein Schicksal.

Ich besuchte die Grundschule; das war ein Kulturschock, denn ich sollte sofort Französisch lernen. Meine Schullaufbahn war normal und ich musste sofort lesen, schreiben und sprechen lernen. Wir sind am 18. August angekommen und schon am 15. September fing die Schule an. Wir hatten so 2 oder 3 Wochen um uns daran zu gewöhnen. Ich habe nicht geweint, niemals, denn eines war wunderbar: unseren Vater wiederzusehen und innerhalb der Familie zu leben. Ich habe also nicht das Gefühl gehabt, entwurzelt zu sein, denn unsere Familie war vereint. Bis zu meinem 6. Lebensjahr, habe ich nicht viel erlebt, so dass mir mein Heimatland nicht fehlte, vielleicht aber meinen älteren Brüdern oder meiner älteren Schwester. Eigentlich freuten wir uns in Frankreich zu leben und eine neue Kultur kennen zu lernen. Wir hatten tatsächlich keine Integrationssorgen. 1966 gab es weniger Probleme mit den Immigranten als heute. Mein Vater war einer der ersten Immigranten in Rennes und einer der ehemaligen Angehörigen der marokkanischen Gemeinde in Rennes. Er war sehr geachtet innerhalb dieser Gemeinde wegen seiner Weisheit. Im Viertel, wo wir lebten, gab es wenige Immigranten. Wir hatten Kontakte mit unserer Umgebung und in der Schule. In Frankreich war man überzeugt, dass Immigranten eine bedeutende Arbeitkraft bildeten, die dabei hilft, das Land aufzubauen … Ich habe keine unangenehme Erinnerungen an meine Kindheit und bedauerte es nicht, ein Land verlassen zu haben, das ich nicht wirklich gekannt habe.
Wir haben danach etwas weiter weg von Rennes, in einem kleinen Dorf gewohnt, dort waren wir die einzigen Marokkaner. Die Dorfbewohner waren sehr neugierig und freundlich, denn mein Vater war ehrlich und vertrauenswürdig und wir hatten ein angenehmes Verhältnis zu den Menschen.

Hast du da sofort mit Aikido angefangen oder erst mit anderen Kampfkünsten ?

Ich habe sofort mit Aikido angefangen, andere Kampfkünste haben mich nicht interessiert. Ich habe davor viel Sport getrieben. Ich war begabt und spielte mit meinen Brüdern Fußball, und wir spielten gut. Unsere Mannschaft gewann, dafür waren wir, meine Familie auch, sehr geachtet. Von Rassismus ist keine Rede. Ich hatte also eine frohe Entwicklung in einem fremden Land, ich habe mich sofort als Franzose gefühlt.
Ich habe mich daran gewöhnt, mich auszudrücken, auszutauschen und viel Sport zu treiben. Ich machte das spontan, weil wir von unserem Vater gelernt haben, uns zu bemühen; für Erfolge muss man hart arbeiten. Manchmal verstand er nicht, wenn wir so früh aufstanden, um Fußball zu spielen und wenn wir nichts vorhatten, dann schliefen wir lange. Er sagte uns, dass wir uns bei jeder Sache gleich bemühen müssen, ob uns die Sache gefällt oder nicht, also das gleiche Engagement. Wir müssen uns kohärent benehmen.

Allmählich wurde der Fortschritt in verschiedenen Bereichen eingesetzt und eines Tages habe ich mit den Kampfkünsten angefangen. Es gab die Kultserie Kung Fu mit David Caradien und damals war ich 13/14 Jahre alt. Was mich interessierte, war der alte Weise, ich sah in ihm meinen Großvater wieder, auch wegen der Übermittlung von Werten. Alt zu werden war interessant. Und später habe ich dann mit Aikido angefangen. Ich war 20 Jahre alt. Das beste Alter, glaube ich. Ich habe verstanden, dass der Sport mich jünger hält. Ich habe mir gesagt, dass man in den Kampfkünsten besser wird, je älter man wird. Das hat mir langfristige Chancen geboten.

Das Budo für mich war Aikido, denn im Aikido geht es nicht ums Kämpfen. Das hat alles andere gelöscht, denn ich wollte keinen Kampf mehr. Ich wollte etwas für mich selbst machen, mit Leuten, die Leidenschaft haben. Man spricht von Entwicklung, vom Verstehen von menschlichen Sachen. Das kommt von meinen ererbten Traditionen. Mein Vater und mein Großvater waren sehr gläubig und im Islam gebildet. Sie waren innerhalb der Gesellschaft als Imame geachtet. Heutzutage versucht man berufliche Imame zu kreiren. Das ist keine ursprüngliche islamischen Religion, denn dort ist das ein freiwilliger Dienst. Wir sind von den marokkanischen Sufi-Bruderschaft beeinflusst. Im Budo empfinde ich Paralellen. Mein ganzer aktueller Einsatz beim Aikidolehren mit den Leuten, die mir vertrauen, ist dahin orientiert eine Bruderschaft zu schaffen.


Bei wem hast du mit Aikido angefangen?

Ich habe mit Herrn Toutain angefangen. Er kam nach Rennes. Ich freute mich ihn zu treffen, er hat mir das Konzept des Körpers, der Strenge und der Ästhetik beigebracht. Ich habe dann mit Herrn Suga viel gearbeitet. Wir standen für lange Zeit in Verbindung.
Inzwischen habe ich auch Tamura Sensei getroffen. Das hat mich sehr beeindruckt, denn ich bin ihm während dieser ganzen Jahren gefolgt. Man soll lange mit dem Sensei sein, wenn man das nicht tut, fehlt etwas. Man wird mit der Zeit älter, der Sensei auch. Aber da kann man die Entwicklungen und die Wechselwirkungen sehen.

Älter werden und Aikido treiben, hat mich gebildet. Man lernt zusammen wird älter und befreit sich auch. Diese Befreiung war für mich sehr wichtig, denn das ist die Grundlage meiner Erziehung. Mit meinem absoluten Respekt für alle, die mich gebildet haben, das kann man nicht ignorieren.
Die anderen Aikidolehrer, zu denen ich gute Kontakte habe, sind Herr Shewan für Iaïdo und Herr Krieger, der als Judoexperte in Europa gilt. Voila, das sind die wesentlichen Führer in meinem Budo-training.

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