Philipe Orban

Seikatanden


Philippe während unseres Gespräches, in seinem neuen Dojo.

Warum hast Du in Leipzig ein neues Dojo eröffnet?

Der Hauptgrund war finanziell. Das alte Dojo war in der Südstadt von Leipzig, dort sah ich keine Perspektive, dass sich mehr Interessenten in meinem Dojo eintragen, so musste ich eine Möglichkeit suchen, die Kosten zu reduzieren. Die Rechnung ist aber nicht, wie es meine Vorstellung war, aufgegangen. Die Investition waren leider doppelt so hoch wie veranschlagt – so wird es mehrere Jahre dauern, bis sich dieser Ortswechsel amortisiert hat…

Die Zukunftsperspektiven in der Weststadt sind recht gut, allerdings muss ich mich hier noch viel mehr einbringen, aber ich bin im Augenblick sehr viel unterwegs. Dieser Stadtteil hat eine erhebliche Investition erfahren, die gesamte Infrastruktur wurde verbessert – es gilt zu erwarten, dass in den nächsten zehn Jahren eine Entwicklung gleich der Südstadt stattfindet.


Hast Du denn keine Vertretung?

Doch, für das Training habe ich einen guten Schüler, der bereits den 4. Dan hat. Aber für die Verwaltung und all das, was um eine kleine Firma herum zu erledigen ist … das muss ich selbst machen – das kann man niemanden überlassen, das wäre Selbsttötung. Werbung, Vorführungen, Angebote ausarbeiten etc. das muss ich jetzt mehr in Angriff nehmen, das fehlt hier.

 
Aber das alte Dojo hast Du noch?

Nein. Ich habe einen Untermietungsvertrag für das Kindertraining, das ich dort noch abhalte. Das passt auch gut in das Konzept der Schule, die dort in meinen alten Räumen neu gegründet wurde.
Hier habe ich jetzt auch wieder 120qm Tatami, wie früher im alten Dojo, auch die Gesamtfläche von 210 qm ist wie früher, aber die Aufteilung ist offener, die Gesamtatmosphäre ist freundlicher und es ist wesentlich günstiger – das was ich wollte. Die Ruhe in diesem Wohnviertel ist qualitativ. Vor allen aber, ich habe kaum Schüler verloren – das war natürlich schon bedenklich…

Bietest Du ein angepasstes, spezielles Training an, ich denke da an Ältere, Kinder …

… nein, aber mein Training hat sich verändert. Ich trainiere nicht mehr wie früher. Es ist beim Konzept geblieben – doch der Rest hat sich geändert. Auch leite ich jetzt das Nachmittagstraining, weil Andrea dies nicht mehr machen kann.


Das hört sich nach einer sehr starken Veränderung an?

Jaaaaa.
Also, das hat schon vor einigen Jahren mit meinen gesundheitlichen Problemen begonnen. Das war um die Jahrtausendwende 2000. Ich habe gut sieben Jahre benötigt wieder fit zu werden. So habe ich jetzt eine ganz andere Form des Energietrainings. Bedingt durch meine Gesundheit und das Treffen mit Inaba Sensei vor zirka 5 Jahren. Das Training des Shiseikan ist ein vollkommen anderes Training. Im Aiki hat man zwei Möglichkeiten zu trainieren,  mit körperlicher Spannung oder in gelöster Lockerheit. Überwiegend wird in der Angespanntheit geübt. Egal, ob man die Kampfkünste oder zum Beispiel den Tanz anschaut – es wird in der Anspannung geübt. Aber in der Entspanntheit üben die Wenigsten – dies ist mir erst in Japan im Shiseikan bewusst geworden. Das hat die Konzeption meines Trainings total revolutioniert.
Die Idee des Budo beinhaltet nicht dieses Aikido, das ich zu vor über 25 Jahre trainierte – wie Artistik-Sport, volle Leistung, sehr technikbetont, dieses Sport-Aikido, effektiv, schnell, sportlich … sondern ein Training, in dem wir Körper und Geist in dem Seikatanden vereinen.
  –Nabel
–unten, hinab  
                             –rot, rostfarben
        –Reisfeld

Ich hatte da schon immer etwas bemerkt, aber – nach 25 langen Jahren – acht davon als Uchi Deshi, Training in Paris, gute Technik und, und, und … da bildet man sich einiges ein....   Es fehlte immer die Transformation, wie Léo Tamaki [Interview mit Léo erscheint in der Ausgabe 44FR-Dezember2012] es nennt. Keine Einheit von Atmung, Kokjuho… nichts. Es wurde nie unterrichtet – also auch kein Üben. So ist mir klar geworden, dass die Technik eine periphere Angelegenheit ist. Es ist aber unmöglich von außen, von der Peripherie, das Zentrum zu erreichen. Genau das Gegenteil ist richtig – man muss sich auf das Zentrum fokussieren. Das ist nur mit einer bestimmten Atemübung möglich. Ohne diese innere Arbeit gibt es keine Transformation – es bleibt nur Technik. Diese sportliche Arbeit ergibt eine gute Koordination, das wird immer feiner und effektiver, das ist gar keine Frage. Aber es wird immer getrennt bleiben, es wird nie eine Einheit.
Diese Globalität zu erreichen funktioniert nur, wenn man mit dem Zentrum eine Einheit bilden kann. Das habe ich in Japan durch differenzierte Übungen gelernt. Deshalb trainiere ich dieses alte Aikido nicht mehr, auch das Aikijo hat sich geändert.
Ich habe in Japan immer sehr wenig geschlafen, in den Nächten habe ich mir immer wieder diese Übungen durch den Kopf gehen lassen, immer wieder und wieder. Selbst die Atmung trainierte ich Nachts. Das war Frustration und Erkenntnis zugleich.
Ich bin jetzt seit einigen Jahren wieder gesund – da war viel Therapie. Ich muss dazu sagen, dass ich am Anfang dieses Jahrtausend ziemlich down war, Depressionen, schlaflose Nächte; Ungelöstes, keinen gesunden Mensch hervorzubringen – das mir bekannte Aikido konnte mir dabei auch nicht helfen, eine weitere Frustration. So besuchte ich zu dieser Zeit Therapien … – diese halfen mir diese schwierige Phase in meinem Leben zu stabilisieren, zu überleben – aber immer fehlte noch etwas. Ich kann ehrlich sagen, dass ich durch meine Ausbildung im Shiseikan, vor allem in den beiden letzten Jahren eine totale Veränderung erfahren haben. Die Lebensenergie ist da, ich atme und schlafe normal. Es ist ein tolles Gefühl.
Es begann mit Misogi           – unter einem Wasserfall. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich wirklich atmete. Diese Kälte, der Druck – das war das erste Mal, dass ich losließ. Ich musste loslassen, es gab nur akzeptieren.
Zwei Tage später hatte ich eine extrem große emotionale Krise, da ich auch noch den Tod meiner Mutter verkraften musste. Doch dort lernte ich meine Problem loszulassen. Heute denke ich, dass es das Schwierigste für uns Menschen ist, etwas loszulassen. Wenn wir dies aber schaffen, dann können wir wieder in unser Lebensschiff einsteigen.


Ich habe oft in meinen Interviews die Frage gestellt, ob nicht die Shihans oder japanischen Lehrer in den Westen gingen um nach zirka 20 Jahren festzustellen, dass ihr Unterricht nicht fruchtet – ich sagte immer, dass die Bäume schief gewachsen waren. Weil sie kein Konzept hatten, um den jungen Aikidoka im Westen den Weg zum Zentrum zu zeigen. Ihr Aikido wurde nicht verstanden. So muss ich bei Dir jetzt annehmen, dass es für Dich nicht mehr möglich ist, mit Christian zusammen zu arbeiten?
Ich treffe Christian immer noch unheimlich gerne, wir haben eine spezielle Freundschaftsform. Aber natürlich ist die Konzeption des Trainings komplett anders. Die Arbeit in der Entspanntheit und diese Energie, daran muss man glauben – es bedarf einiger Schlüssel um dort einzusteigen.
Ich habe ja Jahre diese gesundheitlichen Probleme gehabt – es war, wie eine rechtsseitige Lähmung, da war keine Kraft mehr in dieser Seite. Ich musste schon mein Training umstellen, ich musste ja nicht nur mich, sondern auch meine Familie ernähren. Aber ich hatte nicht die Schlüssel – ich brauchte einen Sensei, der die beiden Schlüssel besitzt:  Der die Kenntnis und die Fähigkeit zur Transmission hat. Wenn eines der beiden Dinge fehlt – da kann man genial sein, aber das funktioniert dann nicht. Die Transmission, dieses Vermitteln nimmt einen zentralen Punkt in der Lehre, in unserem Leben ein. Leider beherrschen es die wenigsten. Ich denke, das hat bei Inaba Sensei einen Schwerpunkt. Er hat seine Arbeit in den letzten Jahren darauf verwandt, seine Vermittlungsfähigkeit für Europa und den Westen aus- und aufzubauen. Bis dahin hat er eben für seine Entwicklung und nicht für seine Karriere gearbeitet – quasi ein Ideal. Er hat erst in den letzten Jahren diese Transmissionsarbeit in Angriff genommen hat – er war wohl bereit für diese Arbeit. Man muss das können. Man trifft selten einen solchen Menschen, der das erreicht hat.

Kommt er oft nach Europa?

© Copyright 1995-2024, Association Aïkido Journal Aïki-Dojo, Association loi 1901