Interview mit Franck Noel in Toulouse

Teil 1


Franck Noël während unseres Gespräch

…¿: Wie lange sind Sie schon hier in diesem Dōjō?
Nicht ganz zwanzig Jahre.
… ¿: Und Sie haben immer Ihr eigenes Dōjō gehabt?
Nein, als ich nach Toulouse kam, habe ich fünf Jahre lang
mit zwei Freunden in einem anderen Dōjō gearbeitet.
Und hier ist es mein eigenes Dōjō, seit 1988.
…¿: Wann haben Sie angefangen, Aikidō zu praktizie-
ren?

Ich habe 1968 in Paris angefangen.
…¿: Und warum Toulouse?
Als ich aus Japan zurückkam, hatte ich keine Lust, nach
Paris zurückzukehren, und Toulouse fühlte sich gut an.
…¿: Und mit wem haben Sie in Paris angefangen?
Mit einer Gruppe von Nakazono-Schülern und dann
gleich danach mit Nakazono Sensei selbst.
…¿: Wie lange haben Sie in Japan gelebt?
Von 1972 bis 1980, acht Jahre lang, hauptsächlich im
Hombu Dōjō, mit Kisshōmaru Ueshiba und allen ande-
ren Senseis des Aikikai, aber vor allem mit Yamaguchi
Sensei.
…¿: Waren Sie zu dieser Zeit der einzige Franzose?
Überhaupt nicht, als ich ankam, war Christian Tissier
schon seit zwei Jahren hier, also hat er mich am Anfang
ziemlich viel gesteuert und mir geholfen, und wir waren
fünf Jahre lang zusammen, bevor er zurückkehrte.


…¿: Und als Sie 1980 zurückkamen, hatten Sie da ei-
nen besonderen Grund, nach Toulouse zu kommen?

Nein, nicht wirklich.
…¿: Warum sind Sie nicht nach Paris zurückgekehrt?
Ich mag Paris nicht, es ist keine Stadt, in der ich leben
möchte.
…¿: Sie sind für Aikidō nach Japan gegangen …
Ich habe dort auch Musik studiert, aber meine Hauptmo-
tivation war Aikidō.
…¿: Und nach acht Jahren fanden Sie, dass das genug
war?

Ja und nein. Das heißt, nach einer gewissen Zeit hat man
das Gefühl, dass man anfängt, sich im Kreis zu drehen. Es
fällt einem schwer, aus einem Kreis auszubrechen, aus sei-
nen Gewohnheiten auszubrechen, und die Rückkehr war
ein bisschen eine Art, erwachsen zu werden, einen Bruch
zu markieren, eine Lernpause einzulegen und ein bisschen
auf eigenen Füßen zu stehen; also in gewisser Weise er-
wachsen zu sein.
…¿: Wie alt waren Sie, als Sie zurückkehrten?
Ich bin mit 22 Jahren gegangen und war 30 Jahre alt, als
ich zurückkam.
…¿: Hatten Sie vor Aikidō andere Kampfkünste geübt?
Ich hatte ein ganz kleines bisschen Jūdō gemacht, zwei
Jahre lang, als ich ein Teenager war. Aber nicht sehr ernst-
haft.


…¿: Welchen Unterschied gab es für Sie zwischen Jūdō
und Aikidō?

Ich glaube, das hat nicht viel miteinander zu tun. Es ist et-
was ganz anderes, es ist eine andere Geschichte, es ist ein an-
deres Abenteuer, es ist eine andere Perspektive. Auch wenn
es natürlich Annäherungspunkte gibt. Aber die Erfahrung,
das Erleben eines Aikidōka hat nichts mit dem eines Jūdōka
zu tun. Man sucht nicht das Gleiche, man entwickelt den
Körper nicht auf die gleiche Weise, man entwickelt die Be-
ziehung zum anderen nicht auf die gleiche Weise. Das ist
sehr unterschiedlich.
…¿: Inwiefern ist Aikidō eine Kampfkunst?
Es ist absolut eine Kampfkunst, das Problem ist, was man
unter »Kampfkunst« versteht. Wenn man davon ausgeht,
dass Kampfkunst Kampftechnik bedeutet, ist Aikidō keine
Kampftechnik. Wenn man aber in »Kampfkunst« vor allem
die Seite der »Kunst« betrachtet, also etwas, das sich mit un-
endlicher Perspektive entwickelt, ist Aikidō voll und ganz
eine Kampfkunst. Martialisch, weil es vom Konflikt spricht,
es spricht vom Kampf, aber es ist keine Technik, die dazu
bestimmt ist, zu lernen, wie man täglich und unmittelbar
körperlich kämpft: Das ist es überhaupt nicht. Es geht dar-
um, die Konflikthypothese für die Suche nach persönlicher
und sozialer, persönlicher und rationaler Entwicklung zu
nutzen.
…¿: Und heute sind Sie professionell?
Ja. Seit 1980, also seit siebenundzwanzig Jahren, bin ich be-
rufstätig.
…¿: Ōsensei, seine direkten Schüler, trainierten intensiv
praktisch ganztägig. Heute ist ein solch intensives körper-
liches Training sehr selten …
Was verstehen Sie unter »körperlichem Training«?


…¿ : Als ich mit Aikidō begann, war das in Deutschland bei
Meister Asai. Er war damals geschmeidig und beweglich
wie eine Katze und stark muskulös. Er war 4. Dan und ver-
standsein Tun. Dementsprechend war auch die Intensität
des Trainings, das er uns gab. Heute, in den Dōjōs, ist es
selten, dass das Training so intensiv ist.
Zunächst einmal denke ich, dass das Wort »Training« über-
haupt nicht zu Aikidō passt. Im Aikidō trainiert man nicht,
man übt. Ein Training ist etwas, das für eine Anwendung be-
stimmt ist: Man trainiert, um etwas anderes zu tun. Man trai-
niert für einen Wettkampf, man trainiert für eine Frist. Bei
Aikidō geht es nicht darum. Das Ziel des Übens ist das Üben.
Das Ziel der Praxis ist es, in der Praxis immer besser zu wer-
den und die Praxis zu nutzen, um seine menschlichen Quali-
täten zu verbessern, so breit wie möglich. Also ist der körper-
liche Aspekt natürlich Teil der Aikidō-Praxis, er ist einer der
drei traditionellen Aspekte der Praxis. Man ist es gewohnt, die
Trilogie »shin-gi-taï 心技体« zu betrachten: den Geist, die
Technik und die Physis, das sind die drei Aspekte der Person,
die es zu entwickeln gilt, um sie in Synergie zu bringen.
Also ist das Körperliche natürlich ein Teil der Aikidō-Praxis
und die körperliche Entwicklung ist eines der Ziele. Das Pro-
blem, das wir heute haben, und das ist vielleicht das, worauf
Sie sich beziehen, ist, dass die Aikidō-Population im Vergleich
zu den frühen Jahren deutlich gealtert ist. Sie sprachen von
Asai Sensei: Als er nach Europa kam, war er, glaube ich, 24
Jahre alt, und das verändert die Dinge also erheblich. Und
derzeit haben wir relativ wenige Praktizierende, die in diesem
Alter sind. Also wird die körperliche Entwicklung natürlich
nach anderen Kriterien und anderen Prioritäten erfolgen.
Aber die Jugendlichen, die mit Aikidō beginnen, die, die ich
kenne, die, mit denen ich zu tun habe, die, die ich verfolge,
auch wenn es in der Praxis des Aikidō keine Übungen gibt,
die spezifisch körperlich sind – es ist immer mit der Technik
verbunden, es ist immer mit der Beziehung zum anderen ver-
bunden – entwickeln diese Jugendlichen eine ganz … »kat-
zenartige« Physis, wie Sie sagten, mit dem, was es an Muskel-
tonus, Mobilität und Verfügbarkeit braucht, was körperliche
Qualitäten sind. Allerdings muss man das auch wieder im Zu-
sammenhang sehen: Wenn man Sportler hat, die mit 35-40
Jahren anfangen, kann man von ihnen natürlich nicht die
körperlichen Qualitäten verlangen, die jemand hat, der mit
18 Jahren angefangen hat.


…¿: Und heute ist es in Japan nicht anders, oder?
Das heißt, in Japan gibt es viele junge Praktizierende, die
Studenten sind. Das Problem ist, dass nur sehr wenige
dabei bleiben. Es ist eine Art vorübergehendes Hobby für
zwei oder drei Jahre im Rahmen von Universitätsverei-
nen. Es gibt nur sehr wenige, die sich wirklich tief und
ernsthaft mit Aikidō beschäftigen. Es ist daher etwas
schwierig, dies zu beurteilen. Im Hombu Dōjō sind die
Teilnehmer relativ alt. Das heißt, es sind keine »älteren
Menschen«, aber es sind auch keine »jungen Menschen«.
In der Mehrheit sind es keine Menschen in ihren Zwan-
zigern, sondern Menschen zwischen dreißig und vierzig
Jahren.
…¿ : Sind Sie nach Japan zurückgekehrt?
Ja, ich gehe regelmäßig jedes Jahr dorthin zurück.
…¿ : Und zwischen 1972 und 1980, war es da schon so?
Ja, ich glaube, es war ein bisschen das gleiche Profil. Die
jungen Praktizierenden traf man vor allem im akademi-
schen Umfeld. Aber die technische Qualität war insge-
samt ziemlich schlecht, abgesehen von einigen Universi-
täten, die vom Unterricht großer Senseis profitierten. Es
gibt ein paar, aber nicht viele. Aber in den meisten Fällen
haben die Leute, die die Universitätsclubs übernehmen,
nur vier oder fünf Jahre Praxis, nicht mehr: Das kann
nicht zu einer sehr interessanten Unterrichtsqualität füh-
ren.
…¿ : Ich dachte, in Japan würde niemand unterrich-
ten, bevor er nicht mindestens den 6. Dan erreicht hat.

Nicht in einem akademischen Kontext. Ein paar Mal
wird ein echter Shihan kommen, aber nur gelegentlich,
vielleicht einmal im Monat, um zu beaufsichtigen. Aber
im Alltag sind es sehr unerfahrene Leute, die die Praxis
anleiten. Natürlich kann man das nicht verallgemeinern:
Es gibt Einzelfälle. Aber im Großen und Ganzen ist es so.
Und genau dort findet man die jungen Praktizierenden.
In den privaten oder städtischen Dōjōs gibt es nicht viele
junge Leute zwischen 20 und 25 Jahren. Es ist ein biss-


chen wie in Frankreich, die Praktizierenden sind stark ge-
altert.
…¿ : Es ist nicht mehr wie früher möglich, Sommerkur-
se zu haben, die vier Wochen dauern, wie es in den
sechziger und siebziger Jahren in Annecy oder De-
senzano in Italien der Fall war. Die Leute arbeiten,
haben Familien … Die Praktika dauern nur noch eine
Woche …
Machen Sie selbst im Sommer Praktika?

Ja, ich gebe vier Wöchige Praktika.
…¿ : Sind die Angriffsformen ein Problem für Aikidō?
Das hängt davon ab, was man erreichen will. Wenn man
Aikidō als eine Kampftechnik betrachtet, müsste man na-
türlich viel an den Angriffen arbeiten. Wenn man davon
ausgeht, dass die Priorität eine umfassende Entwicklung
der Person in einem sozialen Rahmen ist, in einem Rah-
men der Konfrontation mit anderen, in einem Rahmen
der Begegnung mit anderen, dann muss man die Angriffe
so nehmen, wie sie sind. Das heißt, auch wenn es
schlechte Angriffe sind, auch wenn es falsche Angriffe
sind. Das ist die Realität in der Praxis. Es kommt also auf
den Standpunkt an, es kommt auf die Priorität an, die
man seiner Praxis geben will, auf die Hauptausrichtung,
die man ihr geben will. Ich selbst bin natürlich der Mei-
nung, dass es einige Regeln oder besser gesagt Einstellun-
gen gibt, die die Kohärenz von Angriffen hinsichtlich der
Entfernung, der Anpassung und der Präzision gewähr-
leisten. Sicherlich, dennoch glaube ich nicht, dass es für
eine interessante Aikidō-Praxis notwendig ist, sich auf
eine spezifische Arbeit an Angriffen zu konzentrieren,
die, sagen wir, die Hälfte der Zeit in Anspruch nehmen
würde … Ich glaube nicht, dass dies notwendig ist. Ich
denke, es gibt bereits so viele Dinge zu tun, so viele Dinge
zu entwickeln, sogar mit »schlechten Angriffen«, An-
griffen, die sind, wie sie sind, dass … man kann davon
ausgehen, dass man noch mehr tun kann, aber im Aikidō
kann man immer mehr tun, immer besser: das Ziel ist
unendlich.


Ich persönlich betrachte dies also nicht als Problem. Das
konkrete Problem beim Üben ist eher, wie man mit der Wie-
derholung umgeht. 80% der Praxis besteht aus der Wieder-
holung dessen, was der Lehrer gezeigt hat. Dann gibt es etwa
20 % freieres Üben. Der Großteil der Praxis ist die Nachah-
mung, die Reproduktion, die Wiederholung dessen, was der
Lehrer gezeigt hat. Das bedeutet, dass beide Partner wissen,
was passieren wird. Und die wesentliche Schwierigkeit be-
steht darin, nicht vorzugreifen, d. h. die Situation nicht zu
spielen, bevor sie eingetreten ist. Das ist das eigentliche Pro-
blem des Aikidō: Wie kann man nicht antizipieren, wie kann
man nicht in der Rolle sein, die man zu spielen weiß, son-
dern immer so sein, als ob man naiv wäre, als ob man die
Situation jedes Mal neu entdecken würde. Das ist ein ganz
konkretes Problem des Praxismanagements, und natürlich
auch des Unterrichtsmanagements. Auf der Ebene des Leh-
rers geht es also darum, wie er dafür sorgt, dass seine Schüler
nicht in diese Falle tappen, und auf der Ebene der Praktizie-
renden darum, wie er dafür sorgt, dass er selbst nicht in diese
Falle tappt. Es ist also eine Frage der Aufmerksamkeit, eine
Frage der Situierung, die eine gewisse Authentizität der Pra-
xis fördern oder nicht fördern kann. Das scheint mir eher
eine konkrete Schwierigkeit zu sein als das Problem der An-
griffe. Wie kann man erreichen, dass diese Wiederholung
nicht einfach identisch mit sich selbst ist, sondern dass jedes
Mal innerhalb dieser Wiederholung eine echte Situation der
Entdeckung und der Arbeitssituation gibt.
…¿ : Saitō Sensei sagte, dass das, was im Aikikai prakti-
ziert wird, nicht das authentische Aikidō sei.

Das könnte auch der Aikikai sagen. Jeder kann das sagen. Ich
glaube nicht, dass das viel bringt. Man kann das sagen. Aber
ich glaube, dass Aikidō niemandem gehört. Aikidō ist kein
fertiges System, es ist kein abgeschlossenes und endgültiges
System, das es zu erlernen und dann identisch mit sich selbst
zu reproduzieren gilt. So verstehe ich es nicht, so habe ich
nicht den Eindruck, dass es weitergegeben wird, so habe ich
nicht den Eindruck, dass es von den Hauptakteuren gelebt
wird. Aikidō ist eine Perspektive, es ist eine Idee davon, wie
menschliche Beziehungen sein können, wie sie vielleicht sein
sollten. Es ist diese Idee und einige Prinzipien, einige Ele-
mente der Methode, um zu versuchen, in diese Richtung zu
gehen. Das ist Aikidō. Was macht man damit? Man versucht,


diese Prinzipien zu verstehen, man versucht, diese Metho-
de zu verstehen und man versucht, sie anzuwenden, um
Dinge zu entdecken, um zu entdecken, wer man selbst ist,
um zu entdecken, wie man sich im Leben der anderen ar-
tikulieren wird, wie man seine Impulse steuern wird, wie
man versuchen wird, Aggressionen zu domestizieren. Aber
meiner Meinung nach darf man Aikidō keinesfalls als ein
fertiges System betrachten.
Es ist ein System, insofern als es Elemente gibt, die dazu
beitragen, in die gleiche Richtung zu gehen; aber die Ver-
wendung dieser Elemente ist meiner Meinung nach ex-
trem frei. Und gerade indem man mit dieser Freiheit der
Verwendung spielt, wird man einen Weg gehen, also der
Logik des Dō des Aikidō entsprechen. Dō ist ein Weg,
eine Entdeckung, eine Reise. Es ist nicht wirklich ein Ler-
nen. Ich denke also, dass alle Leute, die in irgendeiner
Weise die Erben von Ōsensei sind, auch wenn sie formal
ziemlich andere Dinge tun als Ōsensei, trotzdem in der
Logik des Aikidō sind. Ich glaube, es ist ein Fehler, eine
sehr enge Sichtweise, Aikidō auf eine Reihe von Techniken
reduzieren zu wollen, die Ōsensei im Gegensatz zu allem
anderen ausführen würde. Aikidō ist eine Art zu suchen,
eine Art zu experimentieren, eine Art zu entdecken, also
ist es offen: Es ist kein geschlossenes System.
… es geht darum, immer besser mit anderen Menschen
umzugehen.
…¿ : Sie sprechen viel über den sozialen Aspekt von Ai-
kidō.

Natürlich geht es beim Aikidō darum, wie man mit ande-
ren Menschen zusammenlebt. Es geht darum, wie man
sich in Bezug auf den anderen, vor dem anderen positio-
niert. Wie man auf seine Handlungen reagiert, wie ich
mich ihm gegenüber verhalte, ob er nun freundlich oder
unfreundlich ist. Es ist ein Werkzeug der Zivilisation, es
ist ein Werkzeug der sozialen Ordnung, das natürlich über
die persönliche Entwicklung läuft. Aber das Ziel ist mei-
ner Meinung nach eher die soziale Ordnung als die per-
sönliche Entwicklung. Die persönliche Entwicklung steht
im Dienste der sozialen Ordnung. Es geht um den Aufbau


Fortsetzung Teil 2 in Edition 122DE = 2/2025


Dieses Gespräch wurde von Martin Svihla ins Tschechische übersetzt:


https://www.aikidovinohrady.cz/rozhovor-franck-noel-aikidojournal-2007/

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