Jörg KretzschmarTeil 2

… ein Gespräch in Kölns schönstenm Dojo Edition 99DE

Aikidojournal Interview

Was sagen deine Eltern heute über »deinen Weg« …

… sie sind stolz bis über beide Ohren – wie Eltern eben sind. Das war nicht von Anfang an so. Vor allem, wenn ich im Bekanntenkreis meiner Mutter und meines Stiefvaters gefragt wurde »und, was machst du beruflich?« … »Ich beruflich? Aikidō!« … Wenn nicht »was ist das denn?« kam, dann direkt die Frage, »kann man davon leben?« (lacht) Es glich wohl einem etwas ungewöhnlichen oder revolutionären Lebenskonzept. (lacht)

Ich bin ein Patchwork-Kind und habe vier Eltern. Seit meinem fünften Lebensjahr leben meine Eltern getrennt, beide heirateten wieder. Mein Stiefvater hat mir damals Unterstützung gewährt, um dieses Dōjō zu bauen. Meine Bonität als Jungspund von der Sport-Uni Köln kommend, hätte bei keiner Bank in Deutschland Anklang gefunden und keine Bank hätte meine Pläne finanziell unterstützt. Er war nach einigem Hin und Her bereit diesen Hinterhof hier umbauen zu lassen. So konnte ich meinen Ideen für die Gestaltung, das Design des Dōjō, verwirklichen.
Heutzutage sehen es die Banken ganz anders, nämlich die Immobilie selbst, das Geschehen darin und die Nachhaltigkeit. Zum Glück habe ich die wirtschaftlichen Sorgen der Anfänge hinter mich bringen können.
Wir sind hier seit 16 Jahren und die Widerstände, die ich hier erfahren habe, waren anfangs nicht geringfügig – es gibt ja in Köln sehr viele Mitbewerber, die schon vorher etabliert waren. Auch das Verhältnis zwischen Hans-Jürgen und mir wurde problematisch, als ich sagte: »ich möchte mich selbstständig machen«. Denn das bedeutete natürlich einen Mitstreiter mehr.
Ich habe mein Tun aber immer versucht unter dem Radar zu halten und nicht groß verkündet: »Hier, uns gibt es jetzt auch«. Deshalb war von Anfang an das Konzept dieses Raumes nicht nur auf Aikido ausgerichtet, sondern ich habe versucht einen multifunktionalen Ort zu gestalten. Wenn man die Matten wegnimmt, hat man einen wunderbaren Tanzboden. Wir hatten über die Zeit zum Beispiel Tangounterricht, Schauspielschulaktivitäten, sogar für viele Jahre vormittags eine Kita, ursprünglich durch den Betreuungsbedarf meines Sohnes, ins Leben gerufen, sowie die verschiedensten andere Kurse. Es gab einfach ein breites Spektrum an Angeboten und Nutzungsarten, um eine hohe Auslastung zu erreichen und nicht in Konkurrenz mit den anderen Dōjōs zu treten.


Ich bin froh, dass es die Zeit überdauert hat, denn ich hörte auch: »der bekommt das alles von seinem Stiefvater geschenkt, das wird nicht lange gut gehen« etc. Bisher funktioniert dieses Modell allerdings gut.
Auch Glück gehört dazu und ich hatte gleich eine große Anzahl Kinder, die unbedingt zu mir kommen wollte. So hatte ich einen leichten Start. Auch einige befreundete Erwachsene waren von Anfang an dabei.

Es gibt immer wirtschaftliche Bewegungen bei Aikidōbetreibenden – auch in unser Dojo kommen mal mehr und mal weniger Mitglieder. Seit 16 Jahren sind es immer um die 100, obwohl wir hier ein wenig versteckt angesiedelt sind – du musstest ja auch anrufen, um den Eingang zu finden. Und das, obwohl ich aus Prinzip keine Printwerbung in Form von Flyern oder Plakaten mache – hauptsächlich Mundpropaganda.


100 ist aber auch schmal, für eine Großstadt wie Köln. Es gibt eine Krise, die immer noch gerne kleingeredet und einige Dōjōs zur Aufgabe zwingen wird – Vereine werden es mit deren 10,-Euro Monatsbetrag leicht haben, aber das wird nicht die Lösung sein.

Als Eigentümer der Räume habe ich heute nicht mehr so einen hohen finanziellen Druck wie als Mieter seinerzeit. Das macht es etwas einfacher.
Dass das Interesse am Aikidō nachgelassen haben soll, kann ich so nicht unterschreiben – ich habe es aber schon einige Mal gehört. In meinem Dōjō ist kein Rückgang zu verzeichnen, auch zum Beispiel Klaus Messlinger in Frankfurt bekommt viel Zulauf.
Ich habe das vor meiner Selbstständigkeit auch anders mitbekommen, es gab viel mehr Einsteiger. Allerdings hörte ein Großteil nach zwei oder drei Prüfungen auf, die wenigsten sind in die höheren Kyūgrade vorgedrungen. Ich weiß gar nicht so genau, woran es damals gelegen hat.
In meiner Anfangszeit hier habe ich wenigstens fünf Kinder- und Jugendkurse pro Woche gegeben, jetzt aus Kapazitätsgründen nur noch zwei. Es liegt allerdings nicht an mangelndem Interesse, im Gegenteil, ich führe eine Warteliste. Bei uns trägt sich das Dōjō allerdings mittlerweile durch die Erwachsenen. Wir haben vor allem Fortgeschrittene, das Verhältnis ist in etwa 70 zu 30.
In meinem Fall ist es natürlich so, dass ich auch andere Standbeine habe. So vermiete ich das Dōjō auch. Es wurden hier zum Beispiel bereits Filme gedreht und wenn die Leute die Location sehen, sind sie begeistert. Sogar Hochzeiten werden hier gefeiert. Zugute kommt mir, dass ich mich selbst um das gesamte Objekt kümmere. Nur mit Aikidō, das könnte schwierig werden – insofern hättest du Recht.
Es ist wahrscheinlich »so und so«. Vielleicht ist es weltweit rückläufig – möglicherweise sortiert es sich und die Interessenten schauen sich mehrere Plätze an, sie unterscheiden und landen dann »bei Einem«, dort wo es ihnen gefällt.


… ich meine, dass die Spreu vom Weizen getrennt wird – eine Frage der Qualität.



Qualität ist natürlich schwer zu bewerten. Wir als Lehrer können unsere Qualität vielleicht selbst gar nicht beurteilen, das machen unsere Schüler für uns.
Früher oder später überzeugt die Leute nicht nur, dass man viel trainieren kann, sondern vielleicht auch das drum herum – die Gruppe, der Raum selbst, nicht nur ein möglichst großes Dōjō, sondern auch eine schöne Architektur.

Ich habe auch das Dōjō, in dem ich vorher trainiert habe, geliebt, den langen Raum, wo man wunderbar mit den Kindern spielen konnte. Aber selbst bei Sonnenschein musste man dort das Licht einschalten – es kam kaum Luft herein. Deshalb habe ich hier gleich zu Beginn gesagt, ich will bei der Gestaltung mitreden – Licht und Luft muss sein, dafür ruhig eine kleinere Matte. 

Jeder der hierherkommt erlebt diesen Raum an sich als besonders. Ein Ort, wo man etwas erleben kann, was man so sonst nicht unbedingt vorfindet.

Ich freue mich darüber, dass ich so viele Fortgeschrittene habe, die mich vor die Herausforderung stellen, ein ordentliches Training zu machen. Ein paar meiner fortgeschrittenen Schüler beispielsweise unterrichten seit langem in diesem Dōjō mit. Das ist auch eine essenzielle Form des Übens und ich halte es für gravierend wichtig, den Schülern dies auch zu ermöglichen. Einige von ihnen trainieren Aikido sogar länger als ich. Die wären bestimmt nicht damit zufrieden nur Vorwärts- und Rückwärtsrollen zu üben. Sie möchten an der Verfeinerung ihrer Techniken arbeiten, selbst wenn sie diese schon 100‘000 Mal ausgeführt haben. Das ist auch der Grund, warum ich mich für den Unterricht und das Aikido von Endō Sensei, Kuribayashi Sensei, Matti Joensuu, Jorma Lyly und Ariga Kaname interessiere. Sie vermitteln nicht nur die Technik, um der Technik selbst willen, sondern die Basis und Grundprinzipien, die Wirkung der Formen. Ein „Funktionieren“ der Technik herzustellen und zu erfahren, gehört für mein Empfinden zu einer besonderen Qualität. Diese Erfahrung gebe ich an meine Schüler weiter. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum meine Schüler bei mir im Unterricht sind. Letztendlich weiß ich es allerdings nicht. Vielleicht müsstest du dazu meine Schüler selbst fragen.


… es fehlt an Schulung und Frische der Lehrer – zumal oft der Bauch größer ist als das Ego.


… Tori wie Uke tragen ihren Teil zum Training bei. Je mehr sie investieren, je mehr Fähigkeiten und Möglichkeiten sie teilen, desto interessanter und aufregender wird das Training. Insofern ist es doch gut sich bewegen zu wollen. (Es gibt jetzt Pflaumenkuchen mit Schlagsahne – was mir auf der Autobahn vorschwebte). So klärt sich manchmal »ein Bedürfnis« nach Bewegungsarmut schnellstens und löst sich hoffentlich in Bewegung auf. (lacht) Natürlich ist es bei Krankheit wie beispielsweise Gelenkproblemen etwas anderes, aber auch dann gibt es oft Alternativen ein inhaltlich „gutes“ Training zu machen.
Erfahrene Schüler auch aus anderen Schulen haben ja meist eine Vielzahl an Trainingsstunden absolviert und reizen mich als Lehrer. Zudem ist es eine Herausforderung auch stärkere oder feststehende Persönlichkeiten zu bewegen. Dann stellt sich mir die Frage, ob meine Art mich zu bewegen auch sie bewegen kann – ob mein Aikidō effizient ist und funktioniert. Im Unterricht kommt es natürlich immer wieder vor, dass eine Situation aus technischer Sicht heraus geklärt werden muss – aber vor dem Erfahrungshintergrund, den der Schüler und ich als Lehrer gemeinsam einbringen.

Klar, in der Unterrichtsituation kann immer ein Problem auftreten, welches geklärt werden will, nach dem Motto: » halt, jetzt müssen wir erst einmal klären was hier passiert« – in solchen Momenten kommt es vor, dass wir Lehrer sagen: »das kann nicht sein« oder dergleichen. Ich finde aber, das darf nicht zur Standartroutine werden und dadurch den Schüler und seine Vorstellungen herabsetzen, sondern diese Trainingsmomente sollten klären, was uns beiden, Lehrer und Schüler, an Erfahrungen bereitsteht. Selbstverständlich besteht immer eine Gefahr, vor allem für einen unerfahrenen, jungen Lehrer, nicht in Austausch zu gehen, sondern unidirektional zu unterrichten. Ich verstehe Aikido im Sinne von Einheit, Zusammenspiel und Anpassung wie es dort steht [zeigt auf das Kamiza]. Und das ist auch meine Art Aikido zu unterrichten.
Anstatt die Haltung »So muss das sein und nicht anders« einzunehmen, versuche ich mich stets auf die Erfahrungen und Trainingspraxis meiner Schüler einzustellen, ohne den Finger zu heben und ihr Aikidō vorschnell zu korrigieren. Denn natürlich kann ich von ihnen genauso Neues lernen, wie sie von mir. Nur Regeln für andere aufzustellen, meine Form von Aikidō aber beizubehalten und durchzudrücken, das wäre eigentlich das Gegenteil meiner Philosophie von Aikidō. Denn dann hätte ich nicht viel von dem verstanden, was da geschrieben steht (zeigt auf die Kalligrafie).


… man muss erst soweit gekommen sein, wie du sagst »ein junger Lehrer …« man sollte als Lehrer verstanden haben, dass die Drehung der Hand um einige Zentimeter, oder diese und jene Form …

… es gab Zeiten da habe ich darauf bestanden das genau die eine Form (Kata) eingehalten werden muss und nicht etwa die kleinste Abweichung von dieser Form passieren darf … Damals war mir nicht bewusst, wozu »dieses System Kata« eigentlich dient. Heute würde ich sagen, die Kata sind wie ein Vehikel, das einen bestimmten Inhalt transportiert. Ich muss versuchen zu verstehen was da eigentlich geübt wird. Das geht über den bloßen Bewegungsablauf hinaus. Dieser Inhalt wird zum Beispiel mit dem Namen der Form benannt. Ich denke da an Grundkonzepte wie Irimi (Irimi nage), oder Kokyu (Kokyu nage) etc. Selbst wenn ich die wörtliche Übersetzung dieser Begriffe höre, dann ist es mir nicht unbedingt verständlich, was es als Bewegungsmechanik/-konzept bedeutet. Das muss man am besten von einem erfahrenen Lehrer erfühlen, der in der Lage ist, diese Grundkonzepte anzuwenden. Eine sehr interessante Erfahrung für mich ist, dass ein Grundkonzept wie zum Beispiel Irimi genauso in Techniken (Kata) wie Shiho nage, oder Kaiten nage etc. zur Anwendung kommt. Man kann also beim Üben von Irimi nage gleich für viele andere Techniken mitverstehen lernen wie sie funktionieren könnten.  … Lesen Sie mehr, in der Edition des AJ 99DE

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