Hiroshi Ikeda Sensei.

Wenn man also versucht, etwas umzusetzen, sollte man nicht versuchen, nur zu kopieren.


Ikeda Sensei in Cluj-Napoca …

Wieso sind Sie nach Amerika gegangen?

Japan ist sehr klein, deswegen wollte ich seit meiner Kindheit schon einmal ein größeres Land besuchen. Zuerst dachte ich an Australien, aber dann ging ich in die USA. Mein Meister Saotome Mitsugi Sensei ist auch in die USA gegangen.

Dort haben Sie in Salt Lake City gewohnt, richtig?

Ja, in Colorado. Mein Meister hingegen lebt in Florida.

Seit wie viele Jahre leben Sie dort?

Seit 33 Jahre, schon eine lange Zeit.

Das ist ähnlich wie bei mir. Ich lebe seit 31 Jahren hier in Frankreich. Aber mit Aikido haben Sie in Japan begonnen, oder?

Ja. Damals hatte ich mein Studium an einer Universität in Tokyo aufgenommen – im Aikidoklub der Universität. Saotome Sensei schickte zu dieser Zeit vom Hombu-Dojo Shihan an die Universität. Sie sollten dort Aikido unterrichten, aber er war der eigentliche Lehrer. Durch Saotome Sensei hat sich mein Leben sehr stark verändert. Wäre ich einem anderen Lehrer begegnet, hätte ich vielleicht nicht mit Aikido begonnen, deshalb habe ich weiter trainiert.

Anita Köhler: Ich habe gehört, dass Sie davor Karate trainiert haben.
Nein, Karate habe ich nie trainiert, aber Judo. Während meiner Grundschulzeit habe ich Kendo gemacht und in der High School dann Judo. Als ich dann an die Universität kam, wechselte ich zu Aikido.
In Japan wird viel Baseball gespielt, oder?

Ja, schon. Baseball und Fußball.

Und nach Ihrer Universitätszeit sind Sie dann ins Hombu-Dojo gegangen, richtig?

Ja, stimmt. Meine Universität war in Shinjuku und das Hombu-Dojo in Shibuya, also nur drei Stationen mit dem Zug. Ich bin dann auch in verschiedene Dojos gegangen. Lange Zeit konnte man in jedes Dojo gehen und bei jedem Lehrer trainieren, ganz ohne irgendwelche politischen Zwänge. Wir waren frei dort zu trainieren, wo wir wollten. Das war wirklich sehr angenehm. Im Hombu-Dojo wurde auch nicht nur Osenseis Stil unterrichtet sondern auch Karate. Ich habe das sehr genossen, man traf dort Menschen, die rhetorisch sehr bewandt waren, hochkarätige Karateka und viele andere. Es war wirklich großartig.

Anita K.: Haben Sie Osensei persönlich getroffen?

Ich hatte gar keine Gelegenheit dazu. Ich habe in dem Jahr mit Aikido begonnen, in dem Osensei gestorben ist. Das war im April 1969. In Japan beginnt die Schule immer im April und in genau diesem April ist er verstorben. Leider habe ich es verpasst, ihn persönlich kennenzulernen. Vor vielen Jahren war es in Japan normal, eine Kampfkunst wegen ihrer Philosophie auszuüben, wie auch bei Osenseis Kunst. Man wollte sich einfach damit beschäftigen und das nicht vordergründig, weil es Sport war. Heute spielt man Rugby, Fußball, Baseball oder Basketball. Die Leute machen das, um etwas zu tun. Dabei geht es nicht um die Gedanken eines Gründers. Ich glaube, viele von ihnen wissen nichts über z. B. den Begründer des Basketballs. Sie beginnen auch nicht mit einem Gebet, wie es vor vielen Jahren in den japanischen Kampfkünsten üblich war.

Anita K.: Sie würden also sagen, dass es damals natürlicher war, mit einer Kampfkunst zu beginnen als heute?

Ja, ganz genau. Obwohl es im Hombu-Dojo viele Lehrer gab, waren sie alle gleichberechtigt. Heute ist das anders. Man soll zu einem bestimmten Lehrer gehen und zu einem anderen nicht. Lange war das nicht so. Man konnte überall trainieren, wo man wollte. Es ging nur darum, Aikido zu trainieren und um nichts anderes. Das war eine schöne Erfahrung.

Ist es nicht normal, dass junge LehrerInnen keinen persönlichen Stil haben? Sie beherrschen vielleicht die Grundlagen, aber mehr sieht man auch nicht. Selbst wenn man den aktuellen Doshu betrachtet, erkennt man keinen eigenen Stil sondern nur die Grundlagen. Seinen eigenen Stil darf er auch erst gar nicht entwickeln, Familientradition.

Ja, stimmt. Normalerweise entwickelt man irgendwann seinen eigenen Stil.
 
Was würden Sie über Ihren Stil (im Engl. „way“) sagen?

Über meinen Stil? (im Engl. „My way? My way is the High Way.” – Originalaussage.) Ich würde sagen, er ist eher natürlich. Es geht um Eleganz und die Effizienz der Körperbewegungen. Es ist wie in der Kunst: Man versucht nicht, eine Kopie von etwas zu erstellen sondern etwas ganz Eigenes. Es ist wie mit einem Kunstwerk: Man will es nicht kopieren, sondern sich selbst damit beschäftigen und etwas Neues erschaffen. Eigentlich ist es das, was ich an Aikido so sehr mag. Es spielt keine Rolle, wie schön die Aikido-Bewegung ist; es kommt nur darauf an, dass man es mit Herz tut, dann ist es okay für mich.

Wann haben Sie mit der inneren Arbeit begonnen?

Vor ca. 8 Jahren habe ich damit angefangen, weil damals niemand über die innere Arbeit des Aikido gesprochen hat. Ich war noch so unerfahren, dass ich mit den Augen nichts gesehen habe. Und wenn ich heute junge Leute beim Training beobachte, kann ich auch bei ihnen die inneren Abläufe des Aikido nicht sehen. Über die internen Vorgänge habe ich von einem Karate-Lehrer aus Okinawa gelernt. In den USA gab es eine Aiki-Ausstellung, zu der viele Lehrer aus aller Welt kamen. Ich habe damals auch schon unterrichtet und so dort an vielen Stunden teilgenommen, bis ich diesen einen Lehrer gefunden hatte: Kenji Ushiro Shihan, ein Karate-Lehrer aus Okinawa. Er unterrichtete Karate wie Kung Fu oder jede andere Kampfkunst, da sie alle einem Prinzip folgen würden. Das war mir vom Aikido nicht bekannt. Er zeigte uns so etwas wie Karate-Grundbewegungen. Das war sehr interessant. Ich habe mich gefragt, wie ich dieses Prinzip mit meinem Aikido verbinden konnte und so habe ich mit diesem Weg begonnen. Es hat dann ca. 3 Jahre gedauert, bis ich es vollständig integrieren konnte und mich selbst dahingehend weiterentwickelt hatte. 2 Jahre später habe ich dann versucht, es meinen Schülern in einem Seminar beizubringen.

Anita K.: Das heißt also, dass Sie es selbst herausgefunden haben?

Ja.

Anita K.: Und dann haben Sie es in Ihren Unterricht übernommen, richtig?

Ganz genau.

Anita K.: Haben Sie sich dabei im Aikido verändert?

Ja. Ich selbst habe mich auch verändert, sehr sogar. Ich finde das sehr gut. Ich glaube, Menschen brauchen das. Es ist nicht nur wichtig weiterzukommen, sondern sich dabei auch zu entwickeln.

Wie meinen Sie das?

Hier können wir auch wieder die Vergangenheit als Beispiel heranziehen: Nicht zuletzt wegen dieser persönlichen Entwicklung haben die Kampfkünste es geschafft, binnen der letzten Jahre sehr populär zu werden. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Entwicklung durch Kampfkünste wundervoll ist. Vielleicht gibt es auch Schriften über diese Essenz des Aikido, aber Fakt ist, dass es uns niemand beigebracht hat. Auch in der Vergangenheit gab es starke Menschen, die den anderen körperlich überlegen waren, und schwache, die ihnen unterlagen. Aber wenn man sich fragt, was jemand Unterlegenes gegen den Stärkeren tun kann, steht man vor einer Herausforderung. Und über genau diesen Kerngedanken hat niemand im Aikido gesprochen. Nichtsdestotrotz lebt diese Essenz im japanischen Aikido. Ich bin auch nicht der einzige, der so etwas lehrt, viel mehr bin ich ein Teil eines großen Ganzen. Es gibt viele verschiedene Dinge und jeder kann selbst entscheiden, was er davon mitnimmt. Für mich gibt es nur diese eine Methode. Und selbst diese eine hat es mir ermöglicht, mich zu entwickeln. Auf meinem Weg ist es für  v. Im Grunde geht es mir um meine eigene Entwicklung und mein eigenes Training. Ich teile es nur mit den Menschen, die daran interessiert sind und dann versuche ich, ihnen zu helfen. Und wenn es sie nicht interessiert, interessiert es mich auch nicht. Jeder kann sein eigenes Aikido finden.

Anita K.: Ihr Aikido ist sehr natürlich. Und es ist sehr schön, aber nicht aus athletischer Sicht. Diese Schönheit gleicht mehr der Blätter, die durch einen Windstoß vom Baum heruntertanzen.

Es bewegt die Seele.

Anita Köhler: Ja, ganz genau.

Genau das versuche ich auch zu erreichen.

Anita K.: Aber ich denke auch, dass es sehr effektiv ist. Deswegen ist es auch echtes Budo. Es ist nicht einfach nur ein Sport. Es ist wirklich überwältigend. Tja, und ich denke, dass das recht selten ist. Nicht viele Lehrer können diesen Effekt hervorrufen.

Es sollte auch so sein, weil es darum geht, dass die Menschen ihren eigenen Körper einsetzen. Und obwohl heutzutage alle versuchen, gleich zu sein, unterscheiden sich die Menschen im Grunde doch. Aber durch diesen Imitationsversuch kommt es zu Problemen, da sie so nicht ihren eigenen Körper nutzen können. Man versucht nur nach dem Schema eines anderen mit einem äußeren Einfluss umzugehen, aber das ist ja nicht die eigene Kunst. Es ähnelt den Fähigkeiten eines Bodyguards und sieht vielleicht schön aus, aber es kommt nicht aus tiefstem Herzen.

Anita K.: Genau. Und wie Sie bereits sagten: Verschiedene Menschen haben verschiedene Körper und auch ihre Seelen unterscheiden sich, weswegen die äußere Form derselben Idee anders aussehen muss. Es kann nicht genau gleich sein.

Sollte es zumindest nicht.

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