Mein zweites Gespräch mit Michel Erb - 2010

…Nach kurzem Überlegen antwortete mir Michel, dass seine Ideen sich seit damals sicher verändert haben …


Während des Interview in Vieux - Ferrette/Elsaß

Heute sitze ich im schneebedeckten Elsass (Département Haut Rhin) mit Michel in seinem neuen und geräumigen Haus mit Blick auf die Ruinen des Schlosses von Ferrette.
Michel ist seit einigen Jahren professioneller Aikidolehrer und nicht nur regelmäßig zu Lehrgängen in Berlin oder anderen deutschen, französischen oder schweizer Städten unterwegs, sondern nun auch als Dojo-Mitinhaber in Reinach und Liestal/Basel in der Schweiz aktiv.

Er betreut auch viele Dojos in der Franche-Comté, sowie im Elsass in Guebwiller.
Auch ist er Technischer Leiter der Franche-Comté und der Bourgogne für die FFAAA (Französischer Verband für Aikido um Christian Tissier Sensei).

Ich möchte von Michel in Erfahrung bringen, wie sein heutiges Aikido von dem von 2002 unterscheidet? Ich bemerke sofort, dass er auf die Frage vorbereitet ist, denn er antwortet mir, dass der Unterschied nicht unbedingt in der Technik selbst liege, sondern eher in der Konzeption zu sehen sei. Als ich ihn in der Schweiz fragte, fühlte er sich ein wenig verunsichert und las das Interview aus 2002 nochmals – grosso modo war das Interview selbst aus heutiger Sicht für ihn ok, ja, er erkannte sich auch darin wieder, aber heute sieht er Aikido stärker aus der Sicht eines Lehrling. Dieses erlaube ihm, sein Ego so klein wie möglich zu halten und eine Aufmerksamkeit zu entwickeln, die ihm immer bewusster wird. Heute weiß er, dass er immer noch ein suchender Lehrling ist und es bleiben wird. Das „Beschneiden“ des Egos, erlaubt es ihm, den Geisteszustand des Lehrling zu behalten, um weiterhin lernen zu können – um die Tools zu finden, die dafür nötig sind.

„Denn“, sagt er dann, „es gibt nicht nur eine einzige Wahrheit, sondern jeder hat seine eigene Vorstellung der Wahrheit, und der Wahrheit seines Aikidos. ‚Tolerant zu sein, die Meinung eines anderen zu akzeptieren’, das heißt, die körperliche, aber auch die verbale Ausdrucksweise – wir sind ja im Aikido – zu akzeptieren. Wie gesagt, akzeptieren: ‚Zuhören, den anderen ausreden zu lassen – sprich den Mund zu halten und zu zuhören’ sich ein wenig zu vergessen, sich selbst in den Hintergrund zu setzen, dies ist Arbeit am Ego.
Diese vergangenen zehn Jahre zwischen diesen beiden Interviews erlaubten mir es besser zu definieren, zu erleuchten – ich reifte. Es kommt einem unendlichen Polieren meiner Erkenntnisse gleich. Ich suche immer und ich werde immer suchen müssen.
Die Suche geht in Richtung ‚Klarer sehen’, ‚Klarer denken‘. Die Technik hilft mir, die Bewegung klar und präzise auszuführen – diese Klarheit in allem anwenden zu können, im Verhältnis zu den Anderen, in der Art mit den Anderen zu sprechen und zu handeln…
Es darf keine Mehrdeutigkeit im Verhältnis zu den Anderen entstehen.
Heute versuche ich meine Technik so lesbar wie möglich für mich, aber auch für meine Schüler zu gestalten. Indem es keine Mehrdeutigkeit in der Technik gibt, um so weniger besteht diese zu den Anderen – ich versuche diese Mehrdeutigkeit herauszunehmen. Die ist kein Geheimnis, diese Wahrheit ist meine heutige Wahrheit, aber sicherlich wird sie sich noch verdeutlichen.

Vor einigen Jahren, ich meine es war 2005, sah ich Christian Tissier bei einem Sommerlehrgang in Nîmes. Mir fiel auf, dass all seine Bewegungen sich geändert hatten – in den Techniken wurde die Führung des Ukes extrem betont, ja, wie in einem Lehrfilm vorgeführt. Ob diese Änderung Einfluss auf Michel genommen habe, frage ich ihn. Michel erklärt mir, dass Christian seit schon bald 25 Jahren sein Lehrer ist. Er weiß ihn sehr zu schätzen. Er hat viele Generationen von Aikidokas etwas beigebracht und auch seiner Generation, was ihn sehr erfreue. Er folgt ihm regelmäßig auf Lehrgänge, was ihn jedes Mal bereichert. Es ist für die eigene Entwicklung wichtig, ein solches Beispiel zu haben, sagt er mir.

Michel meint aber, dass es keine grundsätzliche Änderung in der Konzeption gegeben habe, aber er glaubt das Christian eine Person ist, die sich immer verbessern will und deswegen bleibt sein Aikido nie stehen und wird immer feiner.

„Kommunikation zwischen den Körpern, die richtige Distanz, die richtige Position des Winkel, es kommt einem Wahrzeichen gleich“, sagt er weiter. „Das ist eine Detailarbeit, die nur nach und nach zum Vorschein kommen kann. Der Eingang der Bewegung, während des irimis muss von Anfang an klar sein, eindeutig. Es darf kein Zufall sein – eben Budo, aber ohne den Uke zu verletzen, denn der Uke gibt ja seinen Körper dem Tori zur Übung. Ich muss spüren können, dass ich auf dem martialischen Niveau – nach dem Eingang – den Uke unter Kontrolle habe, aber ohne ihn zu verletzen. Ich mag es nicht, den anderen Schmerz zu zufügen, es bringt mir nichts – aber die Aufmerksamkeit, die Technik, all dieses muss angepasst sein. Ich habe eine Technik, diese muss angepasst sein, trotz der Dynamik, die eine solche Technik mit sich bringt. Das Verhältnis, welches ich mit dem Angreifer aufbauen will, muss dem Kriterium des Aikidos entsprechen, im Sinne des Weges der Harmonisierung unserer beider Energien. Es ist z. B. für mich nicht angepasst, während einer abschließenden Haltetechnik jemanden eine sehr schmerzhafte Dehnung zu geben. Ich finde, das wäre nicht angepasst und ich sehe keinen Grund dafür.
Diese Art zu denken, hatte ich schon immer. Ein Anhänger eines aggressiven Aikidos war ich nie. Aber die Dynamik und die Eindeutigkeit der Bewegung und der Position muss klar sein. Man könnte sagen, dass wir Spaß bei der Arbeit haben können. Aus der Sicht eines Lehrers, aber auch als Praktizierender ist es wichtig fröhlich und glücklich zu sein, während des Praktizierens des Aikido. Durch das Lehren habe ich erkannt, wie wichtig das ist. Das ist ein nicht unwichtiger Anteil an der Lehre, die Freude am Aikido zu vermitteln. Man kann natürlich aber auch nicht alle glücklich machen!

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