René van Droogenbroeck – VDB

Heute läuft im Aikido einiges nicht richtig …


René während unseres Gespräches in seinem Dojo.

Hast du dein bisheriges Leben in Le Havre verbracht?

Nein, ich bin in Sarthe geboren, rund sieben Kilometer von Le Mans entfernt. Erst im Alter von 17 Jahren bin ich nach Le Havre gekommen.

… mit deinen Eltern?

Nein, mit meinen Geschwistern, wir lebten von der Sozialhilfe. Ich habe damals als Tellerwäscher und Kellner gearbeitet, dachte mir aber: «Das ist auf Dauer nichts für mich!» Es gefiel mir auch nicht, an den Feiertagen arbeiten zu müssen. Also suchte ich mir eine andere Arbeit. In Le Havre habe ich eine Ausbildung als Anstreicher gemacht. Das hat einige Jahre gedauert und danach habe ich sechs Jahre selbstständig gearbeitet. Das hat sehr gut geklappt: Letztendlich habe ich als Bauführer bei einer Firma gearbeitet. Währenddessen praktizierte ich Aikido! Ich habe mich sehr dafür engagiert.
Als ich mit Aikido angefangen habe, war ich 24 Jahre alt. Ich stand vor einem sehr bekannten Judo-Dojo in Le Havre. An der Türe hing ein Poster mit einem Samurai und darunter stand «Aikido». Ich habe den Judolehrer gefragt, was denn Aikido heiße. Da meinte er: «Ach, das ist etwas für „Behinderte“, das ist nichts für Sie.»
Ich wunderte mich über diese Aussage. Da ich schon immer verspielt und neugierig war und wissen wollte, warum Leute etwas sagen, was ich nicht verstehe, meldete ich mich für den Aikidoschnupperkurs an und habe mir das mit dem «Behindertentraining» angeschaut. Mein erster Gedanke war: «nicht schlecht!».
Der Lehrer beeindruckte mich: Mit seiner Gestalt, seiner Größe und seiner Präsenz im Dojo. Er fragte mich: „Wollen Sie Aikido machen?“ „Ich möchte es mir erst einmal anschauen“, antwortete ich. Ich war vielleicht eine Viertelstunde dort und meinte dann, „auf nächste Woche“. Darauf sagte er: „Wie alle, es gibt viele, die kommen und schauen…“.
In der darauf folgenden Woche bin ich zum Dojo gegangen, habe mich angemeldet und habe sofort mit Aikido begonnen. Ich erinnere mich immer noch daran, es war der 18. September 1964. Nach drei oder vier Monaten aber empfand ich das Training als nicht dynamisch genug, ich hatte mir das anders vorgestellt. Doch irgendetwas hielt mich ab, das Dojo zu wechseln. Zu meinem Glück, denn im Januar 1965 hat unser Lehrer Noro Sensei eingeladen. Ich glaube, das war für mich entscheidend. Noro Aikido machen zu sehen und mit ihm in Kontakt zu kommen, das war außergewöhnlich.
Ich war sehr jung damals und ein bisschen verrückt, voller Begeisterung und Inkonsequenz. Man hatte Lust zu leben, sich zu amüsieren und alles machen dürfen, nicht im Übermaß, aber all dies machen zu dürfen, was man wollte und konnte. Das machte mir Spaß. Vielleicht lag es daran, dass ich sehr früh angefangen habe zu arbeiten, es machte mir aber auch eine große Freude mich anzustrengen. Ich glaube, heutzutage verlieren die Leute zu schnell die Lust – sie beschweren sich permanent.
Ehrlich gesagt, das Leben ist für mich schön. Aikido spielt eine sehr wichtige Rolle in meinem Leben. Es hat mich aufgebaut, hat mich strukturiert. Dadurch habe ich viele Sachen gelernt und verstanden. Ich habe Kontakt zu vielen Menschen bekommen, von denen ich viel lernen konnte …!
Mit Noro Sensei war es hervorragend, von Graduierungen haben wir nie gesprochen.

…wie heißt denn dein Aikidolehrer?

Monsieur David

… stammt er von hier?

Ja, er ist in Le Havre geboren.
Bei wem hat er Aikido gelernt?

Monsieur David hat Aikido bei André Noquet und Tadashi Abe gelernt. Er besuchte die Lehrseminare von Tadashi Abe. Aber damals war Aikido wenig bekannt – es waren meistens Judokas, die mit Aikido anfingen. Jean Zin z.B. und Tadashi Abe hatten es damals sehr schwer, denn es gab Tests.

Tests?
Man testete die Leute. Für sie war Aikido nicht aggressiv genug. Ich glaube, die Judokas, die damals mit Aikido angefangen haben, machten sich eine andere Vorstellung von Aikido. Es gab ja nur Judo. Es gab auch kein Karate. Karate ist erst später nach Europa gekommen – die Judokas sagten, Aikido wird ihnen helfen, wenn sie Judo machen. Und ich glaube, sie haben es gut gemacht. Nicht alle Judokas, doch viele haben Aikido praktiziert, so zum Beispiel mein Lehrer, der Shodan im Judo war. Man sollte ihm sehr dankbar sein, denn er hatte zehn Aikidoschüler in zehn Jahren hervor gebracht.
Ich sollte ihn übrigens dringend besuchen. Er wohnt nicht weit von hier in Rouen. Zumal ich versprochen habe, ihn wiederzusehen. Durch ihn wurde ich ein begeisterter Aikidoka.
Dann gab es natürlich auch Noro Sensei, von dem ich so viel gelernt habe. Ich sage immer, dass die Schüler von ihren Lehrern viel verlangen. Wenn es das aber nicht gäbe, dann gäbe es keinen Wechsel. Dadurch wird der Lehrer atemlos, denn er glaubt, dass die Leute zu ihm kommen, nur um von ihm etwas zu lernen und nicht umgekehrt.
In diesem Fall aber wird der Lehrer in seinen Fähigkeiten sehr begrenzt bleiben und seine Schüler werden sich von ihm abwenden. Ein Lehrer soll seinen Schülern viel beibringen können, und dafür muss er sich weiterbilden, immer weiterlernen – nicht damit aufhören. So werden alle befriedigt sein.
Am vergangenen Samstag bin ich 70 Jahre alt geworden. Ich habe aber den Eindruck, dass ich gerade mit Aikido angefangen habe. Ich kann es mir gar nicht vorstellen, dass ich seit 45 Jahren Aikido praktiziere. Ich habe immer noch einen großen Durst Aikido zu lernen, mich zu verbessern. Budo ist so reich, ein Leben erscheint mir nicht ausreichend zu sein…
Aber ich bemühe mich für meine Schüler und mich, denn man arbeitet für sich selbst und seine Schüler – aber auch um Aikido weiter leben zu lassen.

Hast du den ersten Dan bei Noro bekommen?

Ja, da gibt es eine wunderbare Anekdote: Er ist zum Dojo gekommen, ich war damals erster Kyu. Als erster Kyu trug man keinen Hakama. Übrigens finde ich das heute ein bisschen komisch, denn, wenn zum Beispiel Iai praktiziert wird, dann tragen Sie den Hakama, wenn Sie Kendo machen auch. Und wenn Sie Aikido machen, ist es das Kleid des Aikidokas, es ist die traditionelle japanische Kleidung. Ich verstehe nicht, warum man es nicht tragen darf. Es ist wahr, dass für einen Anfänger, der sich gerade an einem Kurs angemeldet hat, der Hakama teuer ist. Dann wartet man eben ein Jahr und dann … – man sollte nie königlicher als der König sein, nach einem Jahr Aikido, sollte man den Hakama tragen dürfen.

Wie gesagt, damals hatte ich also keinen Hakama und ich hatte kein Interesse am schwarzen Gürtel. Mein Interesse war nur, den Hakama zu tragen. Eines Tages ist Noro Sensei zu einem Lehrgang gekommen und am Ende des Kurses, es war an einem Samstagabend, sagte mein Lehrer: „Monsieur Michel [Bécart] und Monsieur René van Droggenbroeck, kurz VDB genannt, Sie legen die Shodan Prüfung ab“. Aber weder er noch ich haben den Shodan bekommen und er hat Michel gesagt, er dürfe den Hakama tragen. Ich habe nichts gesagt und habe gewartet. Ein Jahr danach wollte ich bei Noro, in der Rue Constance in Weis die Prüfung für den Shodan also ohne Hakama machen. Mein Lehrer hatte mir am Dienstag davor schon gesagt: „Jetzt können Sie den Hakama tragen VDB, wissen Sie warum?“ «Ja, weil ich Ihnen gesagt habe, dass mich der Gürtel nicht interessiert, aber der Hakama.»
Das war wunderbar und sehr gut, denn ich habe in mir etwas kanalisiert, was wohl mit Stolz zu tun hat. Wenn man jung ist, ist man gerne etwas stolz, das ist normal. Mit der Zeit wird man weiser, ich glaube, sein Handeln war sehr lehrreich für mich. Ich erinnere mich noch daran, dass er nach einem Lehrgang zu mir sagte: «Machen Sie nicht das, was Sie auf dem Lehrgang gesehen oder gelernt haben». Ich hielt mich daran, ich habe es für mich behalten.
Eines Tages gab es wieder einen Test. Er unterzog uns einer strengen Prüfung, so wie das die Japaner eben machten. Werde ich seine Dojobefehle missachten, wenn er zum Beispiel abwesend ist? Ich habe aber nie etwas anderes gezeigt, als das, was er uns gelehrt hat. Auch wenn er samstags nicht im Dojo war, machte ich genau das, was er uns gezeigt hatte und nichts, was ich auf einem Lehrgang gelernt hatte. So sagte er mir eines Tages: «Gut, Sie übernehmen den Kurs der Fortgeschrittenen, Sie sind frei in Ihrer Wahl des Unterrichtsstils. Ein Lehrer, der Ihnen das in seinem eigenen Dojo erlaubt, ich glaube, das gibt es heute nicht mehr oft. Ich habe viel Respekt vor ihm, auch weil er mir die Chance gegeben hat, mein Niveau zu verbessern. Das war ein Glück, ein großes Glück, für mich. Ich hatte den Eindruck, dass da damals etwas in mir frei geworden ist.

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