Siebenmal hinfallen, achtmal wieder aufstehen. 七転び、八起き。/

Nana korobi, ya oki.


Thomas wärend eines Stage mit Kl. Hagedorn, in Thomas Dojo/ Bonn - 25.3.2023

 


Im Aikido gibt es beim Üben die beiden Rollen des Werfenden (jap. Tori) und des Geworfenen (jap. Uke). Der Tori führt Bewegungen aus, die wir als Aikido-Technik bezeichnen, während Uke Bewegungen ausführt, die wir als Angriffsform bezeichnen. Oft sehe ich beim Training, dass die Tori-Rolle bevorzugt wird insbesondere von Fortgeschritteneren. Denn schließlich geht es ja darum, die Aikido-Techniken zu lernen. Doch wenn kein Angreifer da ist, kann man dann Aikido-Techniken lernen? Den Angriff musst Du Dir auf jeden Fall genau vorstellen, wenn da kein Uke ist. Besser ist es, wenn Du jemanden hast, der Dich gut angreift. Dazu muss Uke das Angreifen gelernt haben. Tun wir das im Aikido-Training? Meistens nicht und so sehen dann die Angriffe auch oft aus.


 


Die folgenden Aspekte finde ich wichtig, um ein guter Uke zu werden. Die Angriffsbewegung darf nicht offensichtlich sein. In einem Kampf wird Dich der Andere versuchen zu täuschen, im Unklaren darüber lassen, wie er angreift. Da wir in dieser Rollenverteilung üben und kein Sparring oder Wettkampf machen, muss ich als Uke genau merken, wie der Tori mit meinem Angriff umgeht. Ich darf eigentlich nicht wissen, welche Technik gleich angewendet wird. Das führt sonst oft dazu, schon freiwillig in die Körperhaltung zu gehen, die der Tori eigentlich durch die Technik erreichen soll, oder im Gegenteil wird die Technik des Tori blockiert.


 


Wenn der Tori anfängt, mich mit einer Technik aufzunehmen, dann schütze ich mich einerseits und andererseits versuche ich, weiter anzugreifen. Dazu verwende ich dasselbe Aiki-Prinzip, das der Tori bei meinem Angriff eingesetzt hat. Ich akzeptiere den Beginn der Aikido-Technik und nehme die Kraft auf, die der Tori aufwendet. Gleichzeitig schütze ich mich aber auch gegen eventuelle Atemi vom Tori. Wenn Tori mich dann entweder geworfen oder auf den Tatami fixiert hat, stehe ich so schnell wie möglich auf und greife erneut an.


 


Um gemeinsam zu üben und zu lernen, ist es meine Aufgabe als Uke, einerseits kompetent anzugreifen, gleichzeitig aber Tori zu ermöglichen, die angesagte Technik auszuführen. Dazu muss ich während der gesamten Bewegung sehr aufmerksam sein, die Balance finden zwischen (erneut) angreifen und die Technik akzeptieren. Wir haben beide nichts davon, wenn ich mich einfach nur hingebe oder blockiere. In beiden Fällen ist es entweder egal, welche Technik der Tori wie ausführt, oder Tori versucht mit Kraft und Gewalt die angesagte Technik doch noch auszuführen. Diese beständige Aufmerksamkeit und Bereitschaft, jederzeit die eigene Bewegung zu ändern, zeichnet meines Erachtens einen guten Uke aus.


 


Die innere Haltung endet nicht, wenn Tori seine Technik beendet hat. Als Uke bleibe ich nicht einfach liegen. Sondern ich stehe so schnell wie möglich auf, sorge dafür, dass Tori nicht einfach nachsetzen kann, und greife dann ohne Zögern erneut an. Mir ist an dieser Stelle das Aufstehen und sofort wieder Handeln können wichtig. Denn eigentlich ist ja was schief gegangen. Mein geplanter Angriff hat nicht funktioniert und Tori hat die Kontrolle über mich bekommen. Doch sobald ich dieser Kontrolle nicht mehr unterliege, wende ich mich meinem ursprünglichen Ziel wieder zu.


 


Vergleichbare Situationen kennen wir alle aus unserem Leben außerhalb des Dojo. Du willst den Bus noch bekommen und rennst so schnell wie möglich zur gerade noch offenen Tür. Da schließt sie sich und der Bus fährt ohne Dich ab. Du kochst gerade Dein Mittagessen, da bekommst Du einen wichtigen Anruf. Darüber vergisst Du den Topf auf dem Herd. Du hörst es zischen, rennst in die Küche, siehst nur noch, dass alles übergequollen ist und auf dem Herd verbrennt. Es gibt natürlich schwierigere Situationen: Mir wird gekündigt, meine Abschlussprüfung ist schief gegangen, mir ist jemand in mein Auto gefahren. Und noch schwieriger, wenn ich die Diagnose für eine unheilbare Krankheit erhalte, ein mir lieber Mensch stirbt.


 


Die Analogie zum guten Uke besteht in den folgenden Aspekten. Zuerst einmal Akzeptanz des unerwarteten Ereignisses. Dieses auf eine gute Weise geschehen lassen. Nicht versuchen, mit bloßen Händen die Herdplatte sauber machen. Oder sich bei einer Kündigung als Versager empfinden. Oder ganz allgemein sich selbst aufgeben. Es gilt, die Frage „Wie kann ich wieder handlungsfähig werden“ zu beantworten. Einfach so weitermachen wie bisher, macht meistens wenig Sinn. Als Uke behält man auch nicht den ursprünglichen Angriff bei. Es geht darum, wieder aufzustehen, nicht aufzugeben und erneut zu handeln.


 


Aber wie kann mir mein Training als Uke dabei helfen? Wir haben verschiedene sprachliche Metaphern, Bilder für die Situation, in der etwas richtig schief gegangen ist: Am Boden zerstört, geknickt, ausgeliefert oder hilflos sein. Das können wir mit der Situation als Uke vergleichen, wenn Tori uns wirft oder am Boden fixiert. Durch das Aikido-Training wissen wir, wie sich das anfühlt. Natürlich kann ein Wurf oder Hebel wirklich sehr schmerzhaft sein und potenziell uns verletzen. Die Erfahrung machen wir beim Training hoffentlich nicht. Durch das Training lernen wir, besser zu fallen, auch in schwierigen Situationen. Den Hebel besser auszuhalten, weil wir gelenkiger geworden sind. Es ist diese Form der kontrollierten Akzeptanz ohne Selbstaufgabe und möglichst die Kontrolle über den eigenen Körper behalten, die uns helfen, wieder auf die Beine zu kommen.


 


Was ist das genauer, was wir als Uke lernen? Ändere nichts, was Du nicht ändern kannst. Ignoriere nicht, was gerade mit Dir oder in Deinem Umfeld passiert. Bestehe nicht auf dem Verhalten, was Dich in diese aktuellen Schwierigkeiten gebracht hat. Pass auf Dich auf. Nutze die nächstbeste Gelegenheit, um der aktuellen Situation auszuweichen, ohne Dich aufzugeben oder fortzulaufen. Wende Dich dann dem wieder zu, was Du eigentlich als Ziel hattest und versuche es erneut, aber anders.


 


Wie immer bei solchen Analogien, kann man nicht alles identisch übertragen. Doch die körperlichen Erfahrungen in der Uke-Rolle können Dir helfen, außerhalb der Tatami, dem geschützten Raum des Dojo, mit Niederlagen, Unvorhergesehenem, eigenen Fehlern konstruktiv umzugehen. Unser Denken können wir so trainieren, dass wir flexibler reagieren können, Vorurteile hinterfragen und ggf. aufgeben. Wenn wir in Stresssituationen kommen, reagieren wir in jedem Fall körperlich. Unsere Atmung wird hektisch, Herzfrequenz und Blutdruck erhöhen sich, Schweißausbruch, Freisetzung von Stresshormonen wie Adrenalin und Cortisol, die Muskulatur wird angespannt. Das alles geschieht für eine körperliche und mentale Vorbereitung auf Flucht oder Kampf. Das sind die Antworten, die uns die Evolution verfügbar gemacht hat.


 


Doch diese körperlichen Prozesse können wir zumindest ein Stück weit durch im Aikido trainierte körperliche Reflexe einhegen. Langsames Ausatmen beeinflusst die Herzfrequenz und Muskelspannung. Kurz die Augen schließen, gibt einen Augenblick des sich selbst Besinnens. Die innere Haltung der Akzeptanz des Nicht-Änderbaren kann Alternativen zu Flucht oder Kampf ermöglichen. Gleichzeitig gilt es, nicht aufzugeben. So können wir sofort wieder aufstehen, wenn wir gefallen sind oder geworfen wurden. Dies ist wohl mit dem japanischen Sprichwort „Siebenmal hinfallen, achtmal wieder aufstehen“ gemeint.


 


Nachwort:


 


Wenn Du siebenmal hinfällst, dann musst Du nach jedem Hinfallen nur einmal aufstehen, also genauso oft, wie Du hingefallen bist. Das achte Mal passiert nicht. Nutze die eingesparte Energie, um Dich zu freuen, dass Du stehst! Und beim nächsten Hinfallen, stehe wieder auf.


 

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