»Robotik und Aikidō« –

Biomechanik, Spiegelneurone, Natürliche und Künstliche Intelligenz

Prof. Dr. i.R. Thomas Christaller
Prof. Dr. i.R. Thomas Christaller

Da stand ich nun Ende Juni 2002 im Baseball-Stadion »The Dome« in der japanischen Stadt Fukuoka 福岡ドーム auf Kyūshū 鎮西, um den ersten internationalen Wettbewerb fußballspielender humanoider (menschenähnlicher) Roboter zu organisieren. 120.000 Zuschauer kamen zu dem Event RoboCup 2002. Auf der Tribüne des Spielfelds, auf dem die zehn Mannschaften humanoider Roboter aus aller Welt zeigen sollten, was sie können, saßen allerdings nur ein paar hundert Menschen. Meine erste Aufgabe bestand darin, dem Publikum zu erklären, was es gleich - wahrscheinlich - sehen wird. Dazu bat ich die menschlichen Teams mit ihren Robotern sich in einer Reihe an den Bühnenrand zu stellen. Und dann gab ich für die Roboter und die zuschauenden Menschen die folgende ganz einfache Aufgabe: Stehen Sie bitte auf und stellen Sie sich auf ein Bein und bleiben stehen! Die Wissenschaftler gaben ihren Robotern einen entsprechenden Befehl, die Elektromotoren surrten und sie hoben gehorsam ein Bein an und blieben unbeweglich stehen. Auch die Menschen folgten meiner Aufforderung. Allerdings begannen die ersten schon nach ein paar Sekunden ein wenig zu schwanken. Und je länger diese Übung dauerte, desto mehr Menschen mussten das angehobene Bein absetzen, um nicht umzufallen. Während die Roboter einfach dastanden wie der einbeinige standhafte Zinnsoldat in Andersens Märchen. Beim Fußballspielen waren die Roboter aber zu diesem Zeitpunkt sehr weit entfernt von der Leistungsfähigkeit menschlicher Fußballspieler. Die Unterschiede zwischen den damaligen humanoiden Robotern und den anwesenden Menschen konnte deutlicher nicht sein.


Der Hintergrund dieses Wettbewerbs ist die Künstliche Intelligenz (KI), die im Augenblick durch Systeme wie ChatGPT große Aufmerksamkeit bekommt. Aber wie kamen die KI-Wissenschaftler auf die Idee, sich mit fußballspielenden Robotern zu beschäftigen? Über Jahrhunderte hinweg galt das Schachspiel als das Paradebeispiel für menschliche Intelligenz. Wer gut Schachspielen konnte, galt als besonders intelligent. Als in den 1950er Jahren die Wissenschaft begann, Computersysteme zu entwickeln, die genauso intelligent sein sollten wie Menschen, lag es nahe, Schachspielen als das paradigmatische Beispiel zu nehmen. Wenn es gelänge, ein Computerprogramm zu entwickeln, das genauso gut Schachspielen kann wie ein Mensch, dann muss dieses Programm auch genauso intelligent sein wie ein Mensch. Und 1997 war es dann so weit. Das Computerprogramm Deep Blue gewann 1997 gegen Kasparow einen ganzen Wettkampf aus sechs Partien unter Turnierbedingungen.

Das schockierte nicht nur den Weltmeister Kasparow, sondern es löste auch eine wissenschaftliche Diskussion darüber aus, ob Deep Blue nun so intelligent wie ein Mensch sei. In der Wikipedia steht, dass die Deep Blue »Version von 1997 war, ein IBM-Computer, und bestand aus 30 Knoten mit 480 Chips. Jeder Knoten verfügte über 1 GB RAM und 4 GB Festplattenspeicher. Die Schachsoftware war in C geschrieben und lief unter dem Betriebssystem AIX 4.2. Sie berechnete je nach Stellungstyp zwischen 100 und 200 Millionen, im Durchschnitt 126 Millionen, Stellungen pro Sekunde.« Die Software selber konnte nichts anderes als die massenhaften alternativen Züge in einer Situation sehr schnell durchzurechnen und zu bewerten. Von so etwas wie Intelligenz keine Spur. Was meines Erachtens auch heute auf ChatGPT zutrifft.


Nun fehlte der KI-Forschung das Ziel oder ein sehr eingängiges paradigmatisches Beispiel, um zu zeigen, wann sie ihr Ziel erreicht hat, ein Computersystem zu realisieren, das genauso intelligent ist wie ein Mensch. Da kam der kanadische Philosoph Alan Mackworth schon 1992 auf die Idee, Fußballspiel als Ersatz für Schachspiel zu nehmen, um künstlich intelligente Systeme, in diesem Fall Roboter, zu bauen. Wie wir alle wissen, geht es beim Fußballspiel um Kooperation innerhalb einer Mannschaft und Konkurrenz gegenüber der anderen Mannschaft. Das entschiedene Moment ist, genau genug vorherzusagen, was die nächste Bewegung der anderen Spieler sein werden. Bei einem Mitglied der eigenen Mannschaft kann man so eine Flanke spielen, die dieser auch bekommen kann. Bei einem gegnerischen Spieler kann man ihn durch Dribbeln austricksen. Und das Einzige, was zur Verfügung steht, ist die Wahrnehmung der Bewegungen anderer Menschen. Wir Menschen, das zeigt die Hirnforschung, können aus Bewegungen, die wir beobachten, schließen, welche Absichten hinter dieser Bewegung stecken. Also will jemand den Ball abspielen zu einem anderen Spieler oder austricksen, stürmen oder verteidigen, sich freilaufen oder decken.


Und da sind wir fast schon beim Aikidō. Aber ich will die Geschichte zum RoboCup kurz zu Ende erzählen. Nachdem klar war, dass ein sehr gut schachspielender Computer uns nichts darüber sagt, ob dieser intelligent ist oder nicht, kam man in der KI-Forschung auf die Idee, dass menschliche Intelligenz dazu da ist, den menschlichen Körper überlebensfähig zu machen. Wenn man also künstlich intelligente Systeme realisieren wollte, dann benötigen die einen physischen Körper in der physischen Welt. Dafür wurde der Begriff »Embodied Cognition« geprägt. In einem Aufsatz von Rodney Brooks, MIT, im Jahr 1986 »Achieving Artificial Intelligence through building robots« wurde ein neues Paradigma für die KI-Forschung formuliert. Und der japanische KI-Forscher Minoru Asada übernahm beides und gründete mit anderen KI-Forschern zusammen die Robocup Federation mit dem folgenden Ziel: »By the middle of the 21st century, a team of fully autonomous humanoid robot soccer players shall win a soccer game, complying with the official rules of FIFA, against the winner of the most recent World Cup.« (deutsch: Zur Mitte des 21ten Jahrhunderts soll ein Team von vollständig autonomen humanoiden Fußball spielenden Robotern ein Fußballspiel gemäß der offiziellen Regeln der FIFA gegen den Gewinner der aktuellsten Weltmeisterschaft gewinnen.) Hier ist der Link zur Web-Seite der RoboCup Federation: https://www.robocup.org Vor zwei Wochen ist der 20. RoboCup in Bordeaux zu Ende gegangen. Wie die humanoiden Roboter sich bewegen, kannst Du Dir hier anschauen: https://www.youtube.com/results?search_query=robocup+2023+humanoid Das ist natürlich alles noch sehr weit vom Fußballspiel der Menschen entfernt. Aber bis 2025 sind es ja noch ein paar Jahre.


Ofensichtlich ist einer der großen Schwachpunkte die flüssige Bewegung, Rennen können die Roboter gar nicht, und ihr Gleichgewicht ist sehr fragil. Was ist aber neben der Körperbeherrschung und Beweglichkeit noch wichtig? Der Roboter und auch Lena Lattwein müssen aus dem Bewegungsablauf, den sie bei den anderen SpielerInnen sehen, erraten, wohin diese als nächstes laufen werde


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