Nein sagen

Markus Hansen auf seinem Lieblingsfoto
Markus Hansen auf seinem Lieblingsfoto

Durch die hohen Fenster der Halle schien das Licht einer langsam schwächelnden Herbstsonne herein. Ich saß am Mattenrand und wartete mehr oder weniger geduldig darauf, von der Prüfungskommission aufgerufen zu werden. Nidan war der Plan. Die Dan-Prüfungen sind bei uns recht strukturiert. Bevor es in die eigentliche Prüfung geht, wird – zumindest stichprobenartig – nochmal begutachtet, ob man denn die Inhalte der vorhergehenden Prüfung auch noch auf der Pfanne hat und ob auch da das Niveau der angestrebten Graduierung zu erkennen ist.

Nun soll es also losgehen. Die erste Kata soll ich zeigen. Kata sind in unserer Aikido-Geschmacksrichtung festgelegte Abfolgen von Techniken in einer bestimmten Form. Tadashi Abe, der 1942 den Unterricht bei Morihei Ueshiba aufnahm, hatte diese Art von Kata etabliert, nachdem er Anfang der 1950er Jahre in Frankreich im Dojo des Kodokan-Lehrers Mikinosuke Kawaishi dessen an Europäer angepasste Didaktik kennengelernt hatte. Kata ist dabei eine Art Musterlösung, an der man Grundlagen herausarbeiten soll. Viele der Freiheiten, die man sonst so hat und gern mal nutzt, fehlen bewusst. Spontane Richtungswechsel oder Verlängerungen einer Ausweichbewegung, um das mit dem (Un-)Gleichgewicht von Uke doch noch auf die Reihe zu bekommen, sind einem genommen. In diesen Kata geht es darum, in die Tiefe zu arbeiten, um präzise eine vorgegebene Lösung einer Aufgabe zu ergründen, statt „einfach“ mit einer anderen aufzuwarten.

Meine Präzision ist heute eher bescheiden. Ich merke das, und das trägt nicht unbedingt dazu bei, sie zu verbessern. Gleiches gilt für die Bewegungen, die ich nach der Kata noch zeigen darf. Meine Konzentration hat einen leichten Platten; mental gehöre ich eher schon unter die Dusche. Die Ansage der Prüfer, dass es leider nicht gereicht hat, kommt dann auch nicht mehr überraschend. Ich bedanke mich, verlasse die Matte, gehe duschen.

Die Prüfer hatten „Nein“ gesagt. Ich war durchgefallen. Und das war gut so. Natürlich habe ich mich nicht darüber gefreut. Aber ich habe – und darüber bin ich sehr froh – auch nicht innerlich dicht gemacht oder gar auf unreifes, bockiges Kind geschaltet, weil ich eine Graduierung nicht bekommen hatte. Das gibt es aber leider mitunter auch.

Inzwischen weiß ich, dass man sich auch als Prüfer nicht freut, wenn man den Aikidoka, die viel Mühe und Herzblut eingebracht haben, sagen muss, dass das Gezeigte nicht oder zumindest noch nicht ausgereicht hat. Genauso, wie es unheimlich Spaß macht, einer Prüfung zuzuschauen, bei der Eleganz und Elan der gezeigten Bewegungen den Raum erhellen, ist es fordernd bis herausfordernd, wenn dies grade nicht der Fall ist. Eine Prüfung abzunehmen, die quasi von selbst läuft, ist ein Genuss, den man entspannt in sich aufnimmt. Eine Prüfung, bei der man am Ende „Nein“ sagen muss, ist anstrengend, denn sie erfordert höhere Konzentration – jedenfalls, wenn man hinterher auch sagen können möchte, woran die jeweiligen Personen noch arbeiten sollten. Sofern diese es in dem Moment denn aufnehmen können, was aufgrund der emotionalen Aspekte nicht immer ganz einfach ist.
„Nein“ sagen ist nicht sehr populär. Viele Menschen haben sogar ein Problem damit, unter anderem weil sie befürchten, dass dies vom Gegenüber nicht nur als inhaltliche, sondern auch als soziale Ablehnung verstanden wird, und sie sich selbst damit ein wenig isolieren könnten.

Den Menschen in Japan segelt von ihrer Inselwelt das Gerücht voraus, sie könnten überhaupt nicht „Nein“ sagen. Nun gibt es im Japanischen mit iee いいえ ein Wort für eben „Nein“, es ist nur eher unüblich in der zwischenmenschlichen Kommunkation, auch wenn sich dies – westliche Einflüsse machen sich bemerkbar – langsam verschiebt. Statt eines für westliche Ohren deutlichen „Neins“ hört man aus japanischem Munde eher „ich werde dies in Ruhe überdenken“, „darüber sollten wir lieber ein anderes Mal sprechen“ oder „das ist sehr kompliziert“. Während das westliche Ohr diesen Formulierungen entnimmt, dass die Sache damit nicht abgeschlossen ist, wird man auf der anderen Seite auf Verwirrung bis Unverständnis stoßen, wenn man diesen Faden später wieder aufgreifen will. Denn aus der anderen Sicht handelte es sich um ein klares „Nein“.


Ein ebensolches Missverständnis tritt auf, wenn man „das ist eine interessante Idee, aber ich bin nicht ganz sicher dabei“ als Antwort erhält. Während die westliche Mentalität hier den inhaltlichen Fokus auf der „interessanten Idee“ blinken lässt, sollte mit „bin nicht ganz sicher“ eine klare Ablehnung kommuniziert werden. Beginnt man dann, die interessante Idee weiter auszuführen, und versucht, Unsicherheiten auszudiskutieren, ist  …


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