Frisch bleiben

Markus Lieblingsfoto
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Das kleine Dojo bei uns im Keller hat grade mal zwanzig Quadratmeter Mattenfläche. Also theoretisch jedenfalls, wenn man (also ich) mal aufräumen würde. Denn da steht doch noch so einiges herum, was einfach noch keinen anderen Platz im Haus gefunden hat, aber nun mal irgendwo hin muss. Nichtsdestotrotz: Zwei Aspiranten für eine anstehende nächste Dan-Prüfung erhöhen heute Abend mal wieder deutlich die Luftfeuchtigkeit. Hochkonzentriert gehen sie durch die Form. Meine Kinder, die zum Gute Nacht-Sagen um die Ecke luschern, wissen, dass sie leise sein müssen, bleiben still am Rand und schauen den beiden mit interessierter Miene zu.

Die Übung ist zu Ende; die beiden Akteure atmen tief durch. „Na Kinnings, ist Euch auch etwas aufgefallen?“ fragt der eine lächelnd den Nachwuchs, der auch schon die ersten Schritte auf der Matte hinter sich hat. „Jo. Ihr solltet noch an Eurem Timing beim Eingang arbeiten, das läuft manchmal auseinander,“ beginnt Sohnemann mit leicht gerunzelter Stirn. Das Lächeln verharrt. Die Tochter ergänzt: „Bei den Aufnahmebewegungen fehlt manchmal der Zentrumskontakt, da würde ich nochmal dran arbeiten.“ Beide Aikidoka fühlen sich offensichtlich erwischt. Kein Lächeln mehr zu sehen. Ihr großer Bruder, der immerhin schon zweistellig alt ist, gönnt den beiden keine Pause und wirft ein „Bei den Drehungen kommen manchmal Eure Schultern hoch – da stimmt die Distanz nicht und ihr versucht, das mit Muskelkraft auszugleichen!“ hinterher. Komisch. Jetzt scheinen die Schultern eher zu hängen. Freuen die sich etwa nicht? Dabei ist Feedback doch etwas so Hilfreiches, Tolles und Wichtiges?

Genau! Feedback ist ja sooooo wichtig! Nein, wirklich – Ironie beiseite – Feedback ist wichtig. Wenn man keine Rückmeldung darüber bekommt, was man da eigentlich macht, hat man kaum eine Chance, an identifizierten Baustellen in der eigenen Technik sinnvoll zu arbeiten. Noch wichtiger als das Bekommen von Rückmeldungen ist daher das Annehmen-Können derselben. Also nicht nur höflich zuhören und ab und zu gucken, ob es schon vorbei ist, sondern so richtig innerlich annehmen. Denn solche Rückmeldungen sind unsere Chance, mehr Input zu bekommen, als wir selbst wahrnehmen. Je weiter man fortgeschritten ist, desto wertvoller sind diese Chancen, denn sie werden zunehmend seltener.

Am Anfang des Weges sind diese Rückmeldungen noch recht simpel konstruiert. „Jetzt das rechte Bein bewegen. Äh, nein, das andere rechte!“ Leider wird das Umsetzen von Korrekturen nie wieder so effektiv, werden Lernerfolge nie wieder so leicht zu erreichen wie in den ersten Wochen, in denen wir mit Aikido begonnen haben. Das liegt daran, dass nicht nur unsere Bewegungsmuster, sondern leider auch unsere Fehler im Laufe der Zeit immer weiter verfeinert werden. Dass man den falschen Fuß vorn hat, merkt man ja vielleicht doch irgendwann noch selbst, aber dass die Ausrichtung von Hüften und Armen noch besser aufeinander abgestimmt sein könnte ... ja klar, das stimmt, aber wie setze ich das nun um? Ich kann genau fühlen, dass die Lehrerin „fast nichts“ macht. Toll. Faszinierend. Aber ... das kann doch eigentlich gar nicht funktionieren?

Je länger wir Aikido lernen, desto mehr steht uns unser eigener Erfahrungsschatz im Weg. Verstand und Körper haben schon so einiges auf der Matte erlebt und sind sich sowas von gaaaanz sicher, dass wir uns jetzt eigentlich drehen statt noch eine halbe Daumenbreite nach vorn müssten. Frischlinge haben es auf der Matte da viel leichter. Ihre Tasse ist noch leer. Es fällt ihnen viel leichter, sich auf das einzulassen, was ihnen angeboten wird. Shoshin 初心, Anfängergeist, wird diese unvorbelastete innere Frische nicht nur im Zen genannt.

Dass es am Anfang so einfach ist, Lernfortschritte zu machen, liegt also daran, dass man noch die meisten Fehler macht und noch am wenigsten vermeintliche Erfahrungswerte hat. Man nimmt einfach an und steht dem eigenen Dazulernen daher auch nicht selbst im Weg.


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