Erste Gespräch mit Jürg Steiner aus Biel-Bienne in der Schweiz.

Hikitsuchi Sensei unterrichtet im »Kumano Juku Dojo« in Shingu, im südlich Teil von Honshu.


Jürg Steiner in seinem Dojo in Biel-Bienne/CH.

Jürg, Du lebst jetzt schon einige Jahre in Japan, aber Du hast doch schon in der Schweiz mit Deinem »Aiki-Do« begonnen?

Ja, ich habe in Lugano in einer Klinik gearbeitet und dort trainiert, bis zum Sho-Dan. Wir hatten einmal im Jahr Tamura Sensei bei uns, und ich bin auch jedes Jahr nach Lesneven gefahren, dort war ich 13 Mal. Mit Sugano Sensei, Yamada Sensei. Ja, ich habe versucht, den »Tamura-Stil« zu erarbeiten, bis ich nach Japan ging. Das hat sich da dann verändert.


Wohin bist Du gezogen, und weshalb bist Du nach Japan gegangen?

Ich bin nach Wakayama-Ken gezogen, in den südlichsten Teil von Honshu. Also in der Nähe von Tanabe, wo O’Sensei geboren wurde. Zwei Stunden von Tanabe in Kii (der heutigen Präfektur Wakayama) entfernt. Die Gegend heisst »Kumano«.

Dort habe ich jetzt 12 Jahre gelebt und trainiert. Ich bin nach Japan gegangen, um den tieferen Sinn des Aikidos zu erfassen.
Mit wem hast Du da trainiert?

Mein Lehrer dort ist Hikitsuchi Sensei, Anno Sensei, Hine Sensei, es hat viele, sehr viele Shihans dort.


Wo ist der Sitz genau?

In Shingu, das Dojo heisst »Kumano Juku Dojo, oder auch World Dojo«.


Aber der Dojoleiter ist doch Hikitsuchi Sensei?

Ja, Hikitsuchi Sensei. Aber, wir haben sehr viele Shihans, die noch unter O-Sensei gelernt haben, und alle unterrichten auch heute noch. Es wird also ein besonders breites Spektrum Aikido angeboten, in unserem Dojo.


Er reist jetzt wohl bestimmt wegen seines Alters nicht mehr. Unterrichtet er noch täglich?

Er war früher in Amerika und Europa, aber jetzt kann er das gesundheitlich nicht mehr, er wird im Juli Achtzig. Er ist nicht krank, doch will man nichts riskieren.
Ihr seid doch noch im Hombu Dojo integriert?

Ja, ja, wir sind direkt integriert. Viele unserer Senseis waren sehr gut befreundet mit dem Doshu. Die waren ungefähr im gleichen Alter und sind quasi zusammen aufgewachsen. Und O'Sensei hat sehr nahe meinem Lehrer gelebt und war oft in Shingu. Und so ist auch der Bart von O'Sensei im Schrein vom Dojo in Shingu aufbewahrt. Also eine sehr starke Verbindung zum Hombu Dojo.

Alle Grade und Diplome im Kumano Dojo sind durch das Hombu Dojo ausgestellt und vom Doshu unterzeichnet.


Ob sich wohl jetzt einiges ändert mit »Waka-Doshu«, wenn ich ihn mal so bezeichnen darf?

Er hat eine schwierige Aufgabe, weil er recht jung ist, und die meisten Shihans viel erfahrener sind. Aber er macht eine phantastische Arbeit. Er ist auch sehr respektiert.


Der alte Doshu war ja zumindest zu Beginn seines Amtsantrittes nicht besonders respektiert, obwohl man »extern« nicht darüber sprach?

Ich denke, in Japan ist die Hierarchie sehr stark, er wurde auf alle Fälle respektiert, allein durch dieses japanische System des hierarchischen Denkens. In unserem Dojo habe ich nie etwas über Zweifel am Doshu gehört.


Das sind neue Perspektiven für mich.

In Japan wirst Du nie so etwas hören, im Gegenteil. Man wusste, dass der Doshu nicht sehr kräftig war. Aber der Gesundheitszustand, der körperliche Zustand hat damit ja nichts zu tun. Dafür kann er ja nichts.
Du bist für das Aikido nach Japan gegangen, warum?

Nun, ich habe hier in der Schweiz bis zum Sho-Dan trainiert, ich habe auch viel gelernt von meinen Lehrern, wofür ich dankbar bin. Es war aber für mich nicht immer befriedigend, so wie das hier gemacht wird, also bin ich nach Japan, um einen Lehrer zu finden. Ich habe dort verschiedene Lehrer und Dojos besucht, habe auch im Hombu-Dojo trainiert, und sonst war ich auch in Dojos, wie von Kobayashi Sensei, Igarashi Sensei und Endo Sensei.


Kobayashi Junior?

Nein, Kobayashi Sensei Senior in Tokio. Das sind alles sehr gute Lehrer, aber für mich persönlich ist das Dojo in Shingu »auf einer anderen Linie«. Als ich dort hin kam, wusste ich, das ist der Ort, wo ich wirklich trainieren will.


War es die Atmosphäre?

Das Dojo, Hikitsuchi Sensei, die vielen Shihans und die Lehrart. Die Shihans unterrichten alle in verschiedenen, ihren Stilen, aber sie unterrichten Budo, nicht Sport. Man sieht manchmal Lehrer die Aikido Tanz ähnlich machen. Das sieht interessant aus, aber es ist nicht Budo. Im Wort Budo spielt ja auch Leben und Tod mit, es muss mit Präzision gearbeitet werden. Die Präzision ist ein Finger breit, tödlich oder eben nicht. In diesem Stil wird im Shingu gearbeitet, mit Präzision. Sehr viele Basis-Techniken, wenn die Basis nicht da ist, kann man nicht aufbauen, um in höhere Ebenen zu kommen.
Ich vermisse eine Lernmethode, ich möchte nicht von Pädagogik sprechen, weil diese mit Budo nichts zu tun hat. Eine Lernmethode, die mich nicht erst üben lässt, um hart und verspannt zu werden, um dann die Weichheit zu suchen?

Basis und Technik benötige ich sicherlich, aber so wie sie gelehrt wird, lässt es für mich einen »technisch Versierten entstehen«, der aber erst einmal nicht in der Lage ist zu einem »Ukemi«. Ich darf Uke nicht in seinem Angriff stören, sonst reagiert er. Nur mit der entsprechenden Weichheit habe ich die Möglichkeit der Überraschung auf meiner Seite. Mit Technik alleine, wenn jemand stärker ist? – »Finito!«

Wenn ich das »ABC« nicht kann, dann kann ich keinen Satz, keine Seite schreiben. Jeder Anfänger muss lernen: »Wie bewege ich die Hüfte«. Dann muss ich die Mitte finden, bevor ich weiter aufbauen kann. Wenn Du die Basis nicht kennst, kannst Du schon viele Techniken machen, aber Du bist nicht in der Mitte. Um die Mitte zu erlernen, musst Du erst die Basis kennen lernen. Ich denke immer und immer wieder daran, Basisübungen zu erarbeiten, um die Mitte zu finden. Ohne die Basis kannst Du nicht aufbauen.

© Copyright 1995-2024, Association Aïkido Journal Aïki-Dojo, Association loi 1901