Jarodlav Síp aus Pilsen

Damals hat mich Steven Seagal in seinen Filmen inspiriert


Jaroslav während unseres Gespräches im Stadtgarten von Pilsen – 31. Oktober 2015

Jaroslav was ist Aikido für dich?

Jaroslav Sip: Ich mag das Zitat von Osensei sehr, das besagt: „Ich bin Aikido.“ So ungefähr sehe ich es. Aikido faszinierte mich irgendwie als ich sechzehn war und natürlich waren meine Gründe damals andere als heute. Damals hat mich Steven Seagal in seinen Filmen inspiriert, wobei die Leute immer lachen, wenn ich das erzähle. [beide lachen] Aber ich war sechzehn? – Was soll man da erwarten? Und wenn einen das in diesem Alter nicht beeindruckt, wann dann? Natürlich wollte ich unbesiegbar sein so wie er, immer der Sieger. Aber die Idee, Menschen dabei zu helfen, sich weiterzuentwickeln, anstatt klein zu halten, um über ihnen zu stehen, das gefällt mir. Immerhin habe ich eine Zeit lang auf Wettbewerbsebene getanzt, wo jeder besser sein will als der andere, wie es auch beim Schwimmen ist, wo ich auch eine Zeit lang war. Das war eine ganz andere Erfahrung. Wenn man dagegen im Aikido jemandem hilft, wächst man selbst dabei. Wenn man das einmal durchschaut hat, ist es auch gar nicht schlimm, stattdessen ist es eher schlimm, jemandem nicht zu helfen. Es ist einfach wundervoll: Um sich selbst weiterzuentwickeln und sich zu verbessern, muss man es genau so machen. Versuche andere zu unterrichten und du wirst davon profitieren.

Ich habe an der Universität gearbeitet und akademisches Arbeiten ist wirklich schwierig, weil die Menschen oft selbstsüchtig sind. Anstelle einander zu helfen, versuchen sie immer sich gegenseitig auszuspielen, sie fordern sich heraus, sie wetteifern. Einige von ihnen neigen dazu, auch im Alter dasselbe wieder und wieder zu tun. Wenn man jedoch die Idee der eigenen Entwicklung durch Geben versteht, leert man sich selbst für neues Wissen durch Aufopferung, ein paar Hinweise oder vielleicht einen Rat. Man muss sich selbst neu erfinden und es wird umwerfend sein, aber nicht jeder kann das akzeptieren. Wenn man das verstanden hat, kann man das eigene Dojo oder Land verlassen und an so ziemlich jeden Ort gehen, wo es Aikido gibt. Man schreibt einfach oder ruft an und selbst wenn man sich nicht angemeldet hat und einfach dorthin kommt, „Hey, ich bin Aikidoka. Kann ich bei Ihnen bleiben?”, wird die Antwort positiv ausfallen. Folglich kann man durch dieses Netzwerk um die ganze Welt reisen und kann recht einfach Seelenverwandte finden, wenn man so möchte. Das ist einfach wundervoll. Auch das mag ich sehr am Aikido. Tatsächlich brauchen sie auch keine Angst vor dir haben, da es im Aikido keinen Wettkampf gibt. Auf diese Art und Weise war ich letzten Monat in Kanada mit Menschen, die ich vorher noch nie getroffen hatte und die auf der anderen Seite der Erde, des Planeten leben. Trotzdem hatten wir Gemeinsamkeiten und ich habe mich dort nicht fremd gefühlt, einfach ein unglaubliches Gefühl.
Auch wenn es momentan so aussieht, als würde die Anzahl der Aikidoka schrumpfen, haben wir eine Menge toller Aspekte zu bieten. Beispielsweise ist Aikido-Wissen ausgezeichnet geeignet, um mit Kindern zu arbeiten. Natürlich kann man nicht alle Techniken im Spektrum nutzen, man ist limitiert, aber es ist dennoch schön.

Und wegen dieses Steven-Seagal-Films, von dem du sprachst, bist du dann ins Dojo gegangen?

Ja, ich denke es war Samstag oder Sonntag Ende September als ich im Kino saß. Ich erinnere mich nicht mal mehr an den Titel … In der Schule habe ich dann ein Plakat vom Aikido gesehen und bin sofort dahin, das war am 3. Oktober 1994, direkt am Montag.

Wie haben sich die Techniken am Anfang für dich angefühlt?

Ich denke, dass ich die Techniken damals so schnell aufnehmen konnte, weil ich es vom Tanzen her gewohnt war. Wobei ich im Tanzen nicht besonders gut war, es gab immerhin Musik und man musste sich dazu bewegen. [lacht] Ich erinnere mich wirklich nicht mehr an viel. Ich weiß nur noch, dass ich es so sehr genossen habe, dass ich bestimmt zwei oder drei Jahre ohne Pause fünf Tage die Woche trainiert habe. Wenn es einen Lehrgang gab, bin ich mit meinem Lehrer mitgefahren. Das Verrückteste, was ich mal macht habe war wohl bei seinem Seminar im Norden von Bayern. Samstagmorgen bin ich mit ihm mitgefahren, aber ich musste nach Pilsen zurück, also bin ich nach der ersten Trainingseinheit in den Zug nach Pilsen gestiegen – ich hatte einem Freund als Tanzpartner für eine Veranstaltung zugesagt. Am Abend bin ich dann mit dem Zug zurück nach Nordbayern – so um die drei bis vier Stunden – [lacht] gefahren, um das Training am Sonntag nicht zu verpassen. Ich war total verrückt, ich hatte Angst, ich würde etwas verpassen, also war ich zu jeder Gelegenheit im Dojo. Und die Techniken? – Ich habe sie förmlich aufgesaugt. Ich erinnere mich nicht mehr genau, darüber habe ich nicht besonders viel nachgedacht. Ich wollte einfach alles wissen.

Das ist ja bestimmt auch eine Frage des Alters …

Im Dojo haben die Techniken funktioniert, der Rest hat mich nicht großartig gekümmert. Am Anfang hattest du mich gefragt, wieso ich Kei eingeladen habe. Es geht dabei nicht nur um diesen Lehrgang, sondern allgemein darum, andere Lehrer einzuladen, Lehrgänge zu besuchen. Es gibt eben keinen Wettkampf im Aikido, aber dennoch sollten wir etwas haben, um unser Aikido zu überprüfen, zu gucken, ob es funktioniert, ob es nicht irgendwie faul ist. Im Judo gibt es den Wettkampf, genauso wie im Karate und im Grunde war es als Werkzeug zur Entwicklung und nicht als Ziel gedacht. Im Aikido sind Lehrgänge dieses Werkzeug und deswegen denke ich, sollte man zu so vielen Lehrgängen gehen, wie man kann, um seine Technik zu überprüfen, um zu testen, ob sie funktioniert an anderen Menschen aus anderen Schulen, die von anderen Lehrern unterrichtet wurden. Man sollte auch mit Kleineren und Größeren, genauso wie mit Erfahreneren trainieren. So kann man überprüfen, ob die eigene Entwicklung die richtigen Wege geht. Wenn man sich stattdessen in seinem Dojo einschließt mit vielleicht zehn oder zwanzig Leuten, an die man sich gewöhnt hat, kann es schnell passieren, dass die Techniken nicht so gut sind, wie man vielleicht dachte. Trotzdem gibt es immer noch Menschen und auch Lehrer, die meinen: „Tja, ich bin der einzige wahre Lehrer und das einzig richtige ist, mir zu folgen, denn nur ich kann dir die wahre Technik beibringen.“ Wenn das die Wahrheit wäre, bräuchten sich diese Leute nicht scheuen, andere Lehrer und Dojos zu besuchen, weil sie die effektivste Technik kennen, die überall funktionieren sollte. [lacht] So geht es jedenfalls nicht.
Das ist auch ein Grund, wieso ich Kei [Izawa] eingeladen habe oder wieso ich versuche mich selbst nicht durch eine Gruppe zu begrenzen. Natürlich habe ich einen Lieblingslehrer, aber das heißt nicht, dass er mich als Verräter ansieht, wenn ich zu einem Lehrgang gehe, den jemand anderes hält. Im Gegenteil, ich denke, er würde mich eher dazu ermutigen.

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