Gespräch mit John emmerson. Porträt eines Schülers.

Interview mit Sensei John Emmerson, direkter Schüler von Meister André Nocquet.

Sensei, bevor wir beginnen, könntest Du uns bitte einen Überblick über deine Aikido-Laufbahn geben?

Sensei John Emmerson (SE): Sie begann 1964. Zu dieser Zeit betrieb ich als Kampfkunst Judo. Die Judo-Klasse fand früh am Abend statt und nach einer Weile gab es anschliessend eine Aikido-Klasse. Irgendwann entschloss ich mich, auch für das Aikido dazubleiben. Natürlich gab es in diesen Tagen keine Dan-Träger. Das Aikido war sehr, sehr verschieden von der Atmosphäre, die ich vom Judo her kannte. Ich blieb dabei, machte jedoch nur sehr wenig Fortschritte. Natürlich gab es damals auch nicht allzu viele Anleitungen.

Etwa zwei Jahre später kam Chiba Sensei in die Gegend und übernahm das Aikido unter der Schirmherrschaft der Erziehungsbehörde des Councils. Leider konnte ich nicht allzu viel mit Chiba trainieren, weil ich mich im Judo sehr stark engagierte. Dabei zog ich mir einen komplizierten Beinbruch zu, weswegen ich mehrmals operiert werden musste und insgesamt 18 Monate lang nicht trainieren konnte. Die Ärzte verboten mir sogar, wieder mit Judo bzw. generell mit Sport anzufangen und sagten, ich solle froh sein, wenn ich wieder laufen könne.

Ohnehin, nachdem mein Bein ausgeheilt war, zog Chiba Sensei nach London, um dort Aikido aufzubauen. Dennoch waren einige seiner Schüler in meiner Gegend geblieben. Und es war einer dieser Schüler, den ich eines Tages zufällig in meiner Heimatstadt wiedertraf und der mich überredete, zurück zu den Kampfkünsten und zum Aikido zu kommen.

Von da an entwickelte ich mich weiter und ich traf vermehrt andere Anhänger dieser Sportart. Einer davon war der verstorbene Pat Gillespie, der mich wirklich inspirierte. Pat gab mir viel Motivation und Ermutigung, obwohl er selbst zu dieser Zeit erst Blaugurt war. Er brachte mich auf sein eigenes Niveau und schickte mich dann weiter zu anderen Lehrern, die er kannte. Dadurch lernte ich Pat Stratford kennen, der damals 2. Dan war. Er wohnte in Coventry und ich reiste oft und gern zu seinen Kursen.

Er war ein hervorragender Aikidoka und ich glaube, er trainiert noch heute. Pat war oft innerhalb Europas unterwegs und hatte auf seinen Reisen Meister Nocquet getroffen. Zu diesem Zeitpunkt trainierte ich bereits seit etwa zehn Jahre Aikido und hatte erst vor kurzem meinen ersten Dan vom japanischen Gastlehrer namens Norio Tao erhalten. Und ich war ziemlich frustriert, weil ich nicht so recht wusste, wohin ich nun gehen sollte. Irgendwann konnte Meister Nocquet zu einem Kurs in Coventry bewegt werden, den ich sehr genoss, obwohl ich die Bedeutung Meister Nocquet’s damals noch nicht vollumfänglich erkannte.

Einige Monate später erhielt ich jedoch die Chance, Paris zu besuchen, wo Meister Nocquet lehrte. Wir waren eine Gruppe von acht oder zehn Aikidoka und bei dieser Gelegenheit begegnete ich Meister Nocquet zum ersten Mal in seinem eigenen Dojo. Das dürfte etwa 1974 gewesen sein.

Ich war gefesselt von seinem Zugang zu Aikido und der Atmosphäre in seinem Dojo. Da erkannte ich, dass Aikido mehr darstellt, als ich bis anhin annahm, bzw. man mich glauben machte. Denn zu diesem Zeitpunkt stand ich vor der Entscheidung, mit Aikido aufzuhören, weil ich intensiv Wettkampfsportarten betrieb.

Meister Nocquet kehrte alles um, er gab mir einen neuen Grund, mit Aikido weiterzumachen. Etwa drei Jahre später ging ich wieder nach Paris und 1978 erhielt ich von ihm den zweiten Dan. Diese Zeit war eine schwierige in meinem Leben, aber ich traf zum Glück! dennoch die Ent-scheidung, Meister Nocquet’s Schüler zu werden.

Ich hatte viele andere Meister kennengelernt, Noro, Chiba, Tamura, Nakasono, Tao und auch andere, nichtjapanische, aber Meister Nocquet schien das gewisse Extra zu haben. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, was es war – vielleicht sein Charisma, vielleicht seine hochstehende Technik, vielleicht seine hochstehenden Gedanken. Aber ich sagte mir, wenn ich versuche, dies herauszufinden, werde ich es früher oder später wissen. Und so verpflichtete ich mich damals, sein persönlicher Schüler zu werden.

Bald begriff ich, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte und in den Achtziger Jahre besuchte ich praktisch jeden seiner Kurse. Dennoch trainierte ich in dieser Zeit auch mit Lehrern wie Saito und andere, die ich schon genannt habe.

Aber keiner von ihnen schien dieses gewisse Etwas zu haben, dass mich ansprach. Meister Nocquet übernahm in dieser Zeit eine wichtige Führungsrolle in meinem Leben.«


Claus-Jürgen Kocka (CJK): »Sensei, wir kennen uns nun seit über zehn Jahren und in dieser Zeit hatte ich oft selbst Gelegenheit, dich allein und zusammen mit Meister Nocquet zu erleben. Was mich dabei immer wieder besonders beeindruckt hat, ist deine vollständige Hingabe, dein absolutes Vertrauen, dein Respekt und deine Liebe für Meister Nocquet. Das ist der Grund, weshalb ich dieses Interview mit »Porträt eines Schülers« überschrieben habe. Ich habe Dich nie nur als Lehrer, sondern immer gleichzeitig als Schüler von Meister Nocquet erlebt. Hast Du das von ihm gelernt?«
»Heute morgen sprach ich über einige der Einstellungen, die in unserer modernen Gesellschaft existieren und die mich gelegentlich vor den Kopf stossen. Ich sprach über Egoismus, Gier, den Wunsch, lieber das eigene Ego zu füttern, statt sich um andere zu kümmern und für sie zu sorgen. Statt als Einheit als Team zusam-men zu arbeiten, stellen viele die eigenen Be-dürfnisse vor die anderer Menschen.

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