Rainer Dirnberger aus Graz.

Ich erlebe das in meinen beiden Berufen als Psychotherapeut und Aikido-Trainer ständig …


Rainer während des Interviews in Wien - 2014

Das Interview hier in Wien hat sich recht zufällig ergeben. Bei mir wegen meines Aufenthalts in Ungarn, im unweit entfernten Sopron und bei dir wegen deines Besuches, das dich hier in Wien zu Wolfgang Fürst geführt hat. Er meinte, dass das mal ein Anlass wäre, zumal du, Rainer Dirnberger, an einem weiteren Buch über Aikido schreibst und eins bereits erschienen ist.

R. D.: Dieses Buch, das hier vor uns liegt, ist im vergangenen Jahr veröffentlicht worden. Das, von dem Wolfgang sprach, ist noch in Arbeit und ich hoffe, dass es Mitte 2014 erscheinen kann. Es beinhaltet eine Verknüpfung, genauer eine Synthese, von Aikido und Psychotherapie – mit dem Titel „Selbsterkenntnis durch Leiberfahrung“. Synthese, weil Erfahrungen aus östlicher Kampfkunst – Aikido – und westlicher Psychotherapie – der Transactions-Analyse – dort zusammenkommen, wobei es um die Gewinnung von Selbsterfahrung aus psychotherapeutischen Methoden geht. Ich beschäftige mich schon länger damit und als Weg habe ich mir gewählt, die Weisheit des Ostens mit der Weisheit des Westens zu verbinden.
Dabei meine ich mit „der Weisheit des Ostens“ ihren Umgang mit körperlichen Auseinandersetzungen, ihr Erleben der körperlichen Energie und wie sie mit dieser Energie in Konflikten konstruktiv umgehen können. Das verbinde ich dann mit dem Wissen um psychotherapeutische Effekte wie Beziehungsgestaltung, Kommunikation und wohlwollender Begleitung in schwierigen Situationen.
Das ist etwas, das mich aufgrund meiner beruflichen Erfahrung schon lange im Aikido beschäftigt, wegen der psychologischen Aspekte. Dies wird man zukünftig in meinem Buch lesen können.

Wieso ausgerechnet dieses Thema? Es ist doch recht weit von dem Thema des ersten Buches entfernt. Hat das etwas mit deinen Erfahrungen zu tun?

R. D.: Ja, es ist entfernt, aber nicht völlig. Es gibt einen gemeinsamen Aspekt, der sich sowohl in der Spiritualität als auch in gewissen Aspekten von Aikido für mich finden lässt. Beides sind Elemente, die sich jenseits des alltäglichen Lebens befinden und das Potenzial haben, konstruktiv der Persönlichkeitsentwicklung beizutragen, dem persönlichen Wachstum zuträglich zu sein und vielleicht sogar heilsam zu wirken – darin liegt die Gemeinsamkeit. Im neuen Buch liegt der Schwerpunkt allerdings auf den Übungen, die man nutzen kann, um an seinem Selbsterfahrungs-Setting  zu arbeiten und persönliche Erfahrung für persönliches Wachstum einzusetzen.
Wobei ich die Erfahrung gemacht habe, dass alle Menschen, die ich im Aikido über die Jahre kennengelernt habe – ungeachtet dessen, ob sie auf Graduierung wert legten oder nicht – an den Mythos glaubten, dass allein das Trainieren des Aikidos reiche, um eine positive Charakterveränderung bzw. eine positive Persönlichkeitsentwicklung durchzumachen. Mittlerweile halte ich das wirklich für einen Mythos. Ich halte es allerdings nichts für einen Mythos, dass Aikido das Potenzial – ja sogar ein sehr großes Potenzial – birgt, die Veränderungen wirklich voranzutreiben und dass man es dadurch auch erreichen kann – was allerdings sehr vom Verständnis des Trainers abhängt – aber auch vom Setting.
Was für mich das Aikido so einzigartig macht – auch im Vergleich zu anderen Kampfkünsten – ist der Wandel, der schon auf den Begründer Osensei zurück geht, dass … Nein, ich möchte es anders ausdrücken: „Einer der wunderbaren Aspekte im Aikido ist, dass es um Kunst folglich um Kampfkunst geht – und dass es ein ganz simples physikalisches Grundsystem auf den Kopf stellt: ‚der Stärkere gewinnt.’ – aber im Aikido nicht unbedingt.“
Es ist ganz klar, dass ich gegen eine zarte Frau mit meinen knapp ein Meter und achtzig Länge und meinen 90 Kilogramm – als das Natürlichste auf der Welt – mit meiner physikalischen Masse gewinne oder wie man das auch immer ausdrücken mag. Aikido ist, meines Wissens, die einzige Kunst auf dieser Welt, die das auf den Kopf stellt. Das liegt daran, dass die Techniken auch so ausgeführt werden können, dass dieses Grundsystem umgekehrt werden kann. Das eben eine 50-kg-Frau mich Lackel durch die Luft wirft. Leider wird oft übersehen, dass diese Kunst nicht nur eine Kunst dieser Frau ist, sondern eine Kunst von uns beiden, also von Uke und Tori.

[…]
Da wird, wie wir das vorher besprachen, eine Tür zu Erfahrungen geöffnet, die man im Alltag nicht erleben kann. Das kann etwas Wunderbares sein, wenn man diese Erfahrungen in einem vernünftigen Rahmen mit einem Trainier macht, der ein Verständnis für diese Aspekte hat. Dann kann Aikido seine positive Wirkung entfalten.
Ich hoffe, man versteht mich – Du bemerkst sicherlich an meiner Aufregung, dass mir das sehr am Herzen liegt.


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