Giulio Benedetti

… da benötige ich keine Geheimtechniken – Irimi Tenkan …


Giulio vor dem Doko in Münster

Meine Frage nach dem berühmten ABM [Arturo Benedetti Michelangeli 1920-1995] wurde von Giulio Benedeti leider nur mit einer Schulterhebung beantwortet – die berühmten mit dem Namen Benedetti scheinen Giulio nicht zu interessieren, oder langweilen sie ihn gar?
Sehr angenehm, die Kinder der Familie Benedetti begrüßen mich mit „Guten Tag“ – und nicht mit „Hallo“.


 


 


Warum hast du mit Aikido begonnen?

G. B.: … ich habe früher lange Judo gemacht – von daher kannte ich den Schriftzug „Aikido“. Aber da war trotzdem die neugierige Frage, „was ist denn das“ … Dann bin ich zum Studium nach Münster gezogen … Irgendwann ging ich zum Friseur, bei einer jungen Dame – dort hing ein Poster, auf dem Gerhard Walter bei der Ausübung einer Technik abgebildet war – wieder mit dem Schriftzug „Aikido“.

So erkundigte ich mich nach dem warum, was, wer & wie … Ja, das wird hier in einer Gruppe geübt … jeden Nachmittag um 15:00 Uhr ist das Treffen und dann geht es auf die Matte.

Ich bekam dann heraus, dass es eine Arbeitslosen-Gruppe war, die durch finanzielle Förderung der Stadt Münster zu diesem Privileg kam. Der Leiter war Mani Motz, der, wie ich später erfuhr, vom Aikikai Münster war und täglich Aikido in dieser Gruppe unterrichtete. Ich schlüpfte irgendwie in diese Gruppe, die so zirka aus 18-20 Leuten bestand  – nach mehr als einem Jahr bin ich dann auch in den Aikikai Münster eingetreten. So war es dann möglich jeden Tag in der Gruppe und abends im Aikikai zu trainieren.
Ich habe gestern nachgeschaut, im Januar 1987 bin ich in den Verein eingetreten. Ich machte dann gleich den 5. und 4.  und sechs Monate später den 3. Kyu bei Meister Asai.

Machte er damals die Prüfungen noch alle selbst?

Ja klar. Er kennt ja auch jeden mit Namen.

Ja, das ist schon faszinierend, dieses Namengedächtnis.

Jetzt hat er aber ein System mit Stempelkarten eingeführt …

… was ist das?

… Asai argumentierte, dass durch das Shidoin-System – 指導員 (Lehrer, oder Ausbilder) – es vorkommt, dass auf einmal jemand vor ihm steht, der die Prüfung zum 1. Dan machen möchte, Meister Asai ihn noch nie zu Gesicht bekommen hat. Um die Korrektheit der Anmeldung zu garantieren, eben diese Stempelkarten. Wenn du zum Beispiel den 5. Kyu ablegen möchtest, dann musst du den Besuch eines Lehrganges, in Form eines Stempels vorweisen. Er will so die Leute zwingen, dass sie nicht nur ihr Süppchen im „eigenen Verein“ kochen, sondern

auch andere Lehrer besuchen … Früher musstest du ja keine Lehrgänge besuchen, außer die von Asai selbst – er sah ja auf diesen wie dein Entwicklungsstand war und rief dich zur Prüfung auf. 

Er schreibt sich ja noch heute alles auf, in seinen Schulheften – da steht alles drin. Jedes Jahr, jede Prüfung, bestanden oder nicht … Es kann dir passieren, dass du dann hörst: „Ach, sind Sie durchgefallen damals“. (lacht)
Auch scheint er alles wie in einem Video in seinem inneren Auge ablaufen lassen zu können. 

Ich erinnere mich, dass er bei dem Interview in Düsseldorf eines seiner Schulhefte hervor holte um nichts Falsches zu sagen – ich weiß nicht mehr um was es ging – aber ja, das war irgend eine alte Geschichte, die er nachschlug. Der Aikikai hat ja nun auch eine Datenbank in dem alle Prüfungen festgehalten und aufgegliedert sind …

… weiß ich gar nicht, da muss ich mich schlau machen – aber klar, so kann keiner behaupten, er habe dann und dann die Prüfung abgelegt.

… die Frage stand ja immer in Frankreich im Raum, was passiert, wenn Tamura … und dann ging es sehr, sehr schnell und die Grabenkämpfe in der FFAB explodierten geradezu. Extrem.

Ja, es ist dann ja auch schwierig, „einen Neuen“ aus Japan zu holen, wenn jemand 45 oder 50 Jahre in dem Land war … Anderseits sollen die Schüler ja auch irgendwann einmal „erwachsen“ werden.

Asai holt ja schon seit einiger Zeit bei den Prüfungen die Shidoine mit an den Tisch, die dann Rede und Antwort stehen müssen. Er fragt jeden, was er gesehen hat und was nicht. Teilweise kann man, wenn man lauscht, seine Feststellungen hören: „Ach, das haben Sie auch nicht gesehen – auch das haben sie nicht gesehen.“ Ich finde es gut, weil dadurch mehr Konzentration gefordert wird und eine genauere Basis, wo das Augenmerk zu sein hat … So merkst du ganz schnell, was zum Beispiel beim 5. Kyu wichtig ist – eben der Irimi-Schritt. Beim 4. Kyu mehr den Gleitschritt üben … ab 3. Kyu werden die Spielräume immer enger. So ist man gezwungen, sich mit dem System auseinander zusetzen und versteht das Prüfungssystem besser. So wird man wieder zu einem Lehrer.

Ich fand es früher angenehm, dass man sich nicht um die Namen kümmern brauchte, wenn man das nicht wollte. Einfach nur bewegen …

… ja heute musst du ihm nur erklären was du gesehen hast – dazu brauchst du keinen japanischen Namen – du hört dann vielleicht nur: „Ja, das war alles, was Sie gesehen haben“?  (Lacht laut) Ja peinlich kann es werden. „Ja, aber haben Sie nicht gesehen…?“ – dann wird es sehr peinlich. Dann ruft er den Kandidaten nochmals auf und lässt ihn sich bewegen …

Als Prüfer muss man eben anders schauen … Er sagt dazu, dass man bei dem 5. Kyu nicht wie beim 5. Dan schauen muss.
Bis jetzt gibt es ja einige, die den 1. Kyu prüfen – ich bin gespannt, wie lange es dauert, bis die ersten auch den 1. Dan prüfen dürfen.

Hat aber auch ziemlich lange gedauert …

Ja. Das wird oft kritisiert – ich weiß ja nicht, was er sieht. Anderseits wollen viele viel zu schnell „vorwärts kommen“. Es hat auch Vorteile wenn den Wünschen nicht zu schnell die Wege geebnet werden. Ein Niveau ist nun mal ein Niveau.

Ja, ein „ich kann das schon“ ist schnell gesagt – aber nicht unbedingt auch getan.

Wir sind ja ein Verein, wenn ich aber eine Schule habe, da kann sehr schnell ein wirtschaftlicher Zwang entstehen. Was tun, wenn da einer mit der Bitte kommt – ich will auch eine Prüfung machen. Dann fängt man möglicherweise schnell an, millimeterweise Kompromisse zu machen.

Meister Asai hat davor Angst, dass die Qualität verloren geht – die Basis. Darauf legt er großen Wert. 

Ich hatte früher auf der Web-Seite des AJ eine Diskussions-Liste, einer der Teilnehmer aus Köln, erklärte, dass er diese und jene Technik aus seinem Programm gestrichen habe, weil den Schülern die Techniken zu sehr schmerzten …

… ja, das hat Asai auf dem Lehrgang erzählt, dass er mit dir ein Interview hat und er es nicht verstehen könnte, …

… ach, erzählte er das …

… ja ich habe es schon zweimal gehört, dass er es eben nicht verstand, dass man eine Technik streicht. Das ein möglicher Schmerz in einer Technik doch sehr schnell verschwindet – außerdem kann man so etwas auch langsam steigern … Warum hat er das heraus genommen?

Angst, vor dem Verlust eines Schülers - wirtschaftliche Interessen.

Wohl-Fühl Aikido … Entspannungs-Aikdo? Es hat Meister Asai ziemlich irritiert, dass man so etwas macht. Denn normalerweise hörst du von Asai keine Kritik an anderen. Ich erinnere mich, dass Asai einmal total sauer war, als jemand sagte, dass sei doch kein Aikido was Steven Seagal da mache. „Der einzige, der Aikido machen würde, wäre Osensei gewesen – wir würden alle nur probieren Aikido zu machen. Und jeder müsste seinen Weg finden. Niemand könne sagen, dies sei richtig und das andere falsch.“ 

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